Renate SchmidtRenate
Schmidt
, Familienministerin (SPD), war am 03.
Juni 2003 zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de
im ARD-Hauptstadtstudio
.

Moderator: Herzlich willkommen im tacheles.02-Chat. tacheles.02
ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Die Bundesfamilienministerin und stellvertretende
SPD-Vorsitzende Renate Schmidt ist heute im ARD-Hauptstadtstudio unser
Chat-Gast. Frau Schmidt, sind Sie bereit für den 60-Minuten-Chat
mit unseren Usern?

Renate Schmidt:
Ja!

nevaplus: Frau
Schmidt, Sie waren einmal Betriebsrätin und kennen vermutlich die
Sorgen und Nöte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Frage: Veränderungen
sind nötig; doch dürfen sie Ihrer Meinung nach überwiegend
zu Lasten von Beschäftigten, Rentner und Arbeitslosen – wie jetzt
geplant ohne einen Beitrag der Vermögenden in unserem Land – durchgesetzt
werden? Wo bleibt die noch im Wahlkampf von der SPD versprochene Soziale
Gerechtigkeit bei der Agenda 2010?

Renate Schmidt:
Ich finde, dass es nicht gerecht ist, wenn man älteren Arbeitslosen
32 Monate Arbeitslosengeld zahlt und damit Anreize schafft für den
Arbeitgeber, sich möglichst kostengünstig zu Lasten der Sozialkassen
ihrer zu entledigen. Deshalb ist es richtig, das zu verändern, wenn
man gleichzeitig sicherstellt, dass diejenigen, die dann immer noch ohne
Job dastehen, ein Angebot bekommen. Genau das wollen wir tun. Was die
Rentner betrifft, müssen wir einfach sehen, dass wir eine dramatisch
schlechte Alterstruktur in Deutschland haben. Die Lebenserwartung steigt,
Gott sei Dank. Aber das Renteneintrittsalter liegt deutlich unter dem
gesetzlich vorgesehenen von 65 Jahren – nämlich bei 60, d.h. für
einen immer längeren Zeitraum müssen die Renten finanziert werden.
Das wird auf Dauer nicht gehen. Deshalb ist es richtig, dass ab 2011 das
Eintrittsalter in die Rente auch im Gesetz steigen wird und in der Zwischenzeit
die Rentensteigerungen nicht ganz so hoch sein werden, wie wir es uns
mal vorgenommen haben.

über_allem:
Frau Schmidt. Unser Kanzler hat ja beim Parteitag der SPD ein hervorragendes
Votum für seine Politik bekommen. Sehen Sie die Position des Kanzler
gestärkt und steht die Partei jetzt vereint hinter dem Kanzler? War
diese Entscheidung der Delegierten die Entscheidung für die Agenda
oder sehen Sie Probleme, die Agenda jetzt im Bundestag durchzusetzen?

Renate Schmidt:
Es war eine Entscheidung für die Agenda und ich gehe davon aus, dass
diejenigen in der Fraktion, die sie bisher kritisiert haben, dieses eindeutige
Votum respektieren werden und dann der Agenda und den Gesetzen, die daraus
folgen, auch zustimmen werden.

nevaplus: Die
Post hat ca. 120.000 Arbeitsplätze vernichtet und setzt diese sogenannte
Personalanpassung fort. Was tun Sie als Mitglied dieser Bundesregierung
konkret gegen den Abbau von Arbeitsplätzen bei der Post und damit
für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen?

Renate Schmidt:
Die Post ist in der Zwischenzeit ein privatisiertes Unternehmen. Die Bundesregierung
sitzt zwar im Aufsichtsrat, hat aber rein gesetzlich gar nicht die Möglichkeit,
Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen.

Moderator:
Zum Thema Wehrpflicht gibt es viele Fragen.

zivi-1: Warum
halten Sie am Wehrdienst fest? Wer bedroht uns und ist das nicht ineffektiv
und teuer?

Renate Schmidt:
Ich persönlich bin der Meinung, dass der Wehrdienst ausgesetzt werden
sollte und glaube, dass die damit verbundenen Probleme sowohl bei der
Bundeswehr als auch beim Zivildienst lösbar sind. Meine Partei und
die SPD-Fraktion sind mit großer Mehrheit anderer Auffassung. Wir
werden die Entscheidung darüber am 1.Juli treffen. Ich bin allerdings
überzeugt davon, dass auf eine mittlere Sicht gesehen – auch angesichts
der Tatsache, dass um uns herum überwiegend Berufsarmeen installiert
werden – auch bei uns die Wehrpflicht eher ein Auslaufmodell ist. Als
Bundesministerin werde ich natürlich die Entscheidungen der Fraktion
und des Kabinetts respektieren und umsetzen. Wichtig ist mir, dass junge
Leute beiderlei Geschlechts einen Dienst an der Gesellschaft leisten.
Deshalb habe ich auch eine Kommission zur Zukunft von Zivildienst und
freiwilligen Diensten eingerichtet.

petermann25:
Dann sind Sie anderer Meinung als Struck?

Renate Schmidt:
In diesem Fall ja, obwohl wir sehr gut zusammenarbeiten, und dies kein
verbissener Streit ist sondern einen Auseinandersetzung um die beste Lösung.

zivi-1: Fortentwicklung
des freiwilligen sozialen Jahres, klingt gut, aber bei der Staatsverdrossenheit
kein leichtes Spiel? Der Staat nimmt durch immer mehr Steuern, warum soll
ich da geben?

Renate Schmidt:
Weil der Staat wir alle sind und wenn wir alle Aufgaben auf den Staat
verlagern, wird die Steuerlast immer größer. Wir brauchen mehr
Eigenverantwortung, mehr ehrenamtliches Engagement, mehr Nachbarschaftshilfe
und müssen schauen, welche Probleme wir selber lösen können,
bevor wir nach dem Staat rufen. Wenn das viele tun, werden auch Steuerlasten
sinken können.

samariter:
Sie sagen: Der Zivildienst sei keine Begründung für eine weitere
Existenz der Wehrpflicht. Aber können die Wohlfahrtsverbände
auf die billigen Arbeitskräfte verzichten?

Renate Schmidt:
Im Zivildienstgesetz steht, dass der Zivildienst arbeitsmarktneutral sein
muss und Zivildienstleistende nur für Aufgaben eingesetzt werden
dürfen, die nicht zwingend notwendig sind. Ich weiß natürlich,
dass das so nicht überall der Fall ist. Aber es gibt natürlich
Lösungen, falls die Wehrpflicht ausgesetzt würde, wie man die
Zivildienstleistenden durch reguläre Arbeitskräfte ersetzen
könnte. Allerdings brauchen die Wohlfahrtsorganisationen und die
anderen Träger endliche Planungssicherheit. Und deshalb brauchen
wir eine schnelle Entscheidung. Es bleibt aber dabei, dass der Zivildienst
nicht die Begründung der Wehrpflicht bedeuten kann. Der Zivildienst
ist eine Konsequenz der Wehrpflicht und kann nur bleiben, wenn wir die
Wehrpflicht tatsächlich noch benötigen.

offizier: Wehrpflicht
und Zivildienst sollten die gleiche Dauer haben. Warum plötzlich
diese Kehrtwendung? Früher war der Zivildienst immer länger.
Wer geht da noch zum Bund?

Renate Schmidt:
Der eine Monat ist schon längst keine "Abschreckung" mehr.
Es gibt im Moment pro Geburtsjahrgang jeweils die Hälfte Bundeswehr-
und Zivildienstleistende. Dies wird sich auch bei gleicher Dauer von Zivildienst
und Wehrdienst nicht verändern.

rurupro: Wenn
man die Wehrpflicht abschafft und ein Soziales Jahr für Frauen und
Männer einführt, dann wäre dies doch viel sinnvoller und
gerechter, oder?

Renate Schmidt:
Wir haben uns in unserer Verfassung verpflichtet, keinen sogenannten Zwangsdienst
einzuführen und wir sind auch in internationalen Vereinbarungen vertraglich
gebunden, dies nicht zu tun. Es gibt meines Wissens nur zwei Länder
auf der Welt, die einen solchen Zwangsdienst kennen. Beides sind Diktaturen.
Ich möchte aber nicht missverstanden werden, auf freiwilliger Ebene
halte ich für beide Geschlechter einen solchen Dienst für richtig
und sinnvoll!

petermann25:
Wenn es beim Wehrdienst bliebe, wolle man rasch entscheiden, wie lange
dieser dann dauern solle. Ja wie lange denn?

Renate Schmidt:
Dies wird sich nicht nach den Bedürfnissen meines Ministeriums richten,

sondern nach den Bedürfnissen der Bundeswehr. Hier gibt es unterschiedliche
Äußerungen. Die Verabredung ist, bis zum Jahresende auch Klarheit
über die Dauer des Wehrdienstes zu haben. Die gleiche Dauer wird
dann auch für den Zivildienst gelten.

Moderator:
Kommen wir zu einem weiteren Thema – die künstliche Befruchtung erregt
die Gemüter.

Jana: Wie sehen
Sie die Abschaffung der künstlichen Befruchtung?

Renate Schmidt:
Die künstliche Befruchtung wird natürlich nicht abgeschafft,
die Möglichkeit besteht nach wie vor – allerdings wird sie nicht
mehr von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert. Dies ist für mich
sicher eine schwierige Entscheidung gewesen. In der Abwägung, was
aber wirklich zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen gehen muss und
was nicht und damit zu Lasten der Beiträge von Arbeitnehmern und
-gebern, ist die Entscheidung meines Erachtens nachzuvollziehen, das dies
mit der Grundidee der gesetzlichen Krankenversicherung nichts zu tun hat.

Dini: Sind
Sie auch der Meinung, dass die Streichung der Kostenübernahme der
künstlichen Befruchtung die KK wirklich entlastet? Nachweislich handelt
es hierbei um ca. 0,1% der Gesamtkosten, für die betroffenen (kranken
!) Paare sind die Beträge aber teilweise unerschwinglich. Und das
in einer Gesellschaft, in der immer mehr von "Vergreisung" die
Rede ist?!

Renate Schmidt:
Es ist sicherlich richtig, dass das jetzt nicht der große Brocken
in der Krankenversicherung ist. Aber auch andere Dinge, die gestrichen
werden mussten, wie z.B. das Sterbegeld, machen auch allein für sich
gesehen nicht soviel aus. Zusammengenommen werden wir es aber durch die
Herausnahme von Leistungen, die entweder über Steuern finanziert
werden oder gar nicht mehr bezahlt werden, schaffen, auf mittlere Sicht
den Krankenversicherungsbeitrag zu senken.

Andreas: Warum
werden Schwangerschaftsabbruch, Verhütung etc. aus Steuergeldern
gezahlt und Kinderwunsch nicht?

Renate Schmidt:
Verhütung wird nicht aus Steuergeldern gezahlt. Schwangerschaftsabbrüche
auch nicht immer. Weil ersteres in jedem Fall zur Privatsphäre gehört
und es keinen Grund gibt, dieses über Beiträge zu finanzieren.

Heiko: Ist
das nicht sogar ein Verlustgeschäft? Weniger Geburten – weniger Einnahmen
an Mehrwertsteuer für Kinderprodukte, weniger neue Steuerzahler?

Renate Schmidt:
Wir sollten jetzt nicht so tun, als ob die Masse der Kinder über
künstliche Befruchtung zur Welt kommt. Vorhin ist richtigerweise
auf den Betrag von 0,1% hingewiesen worden. Das zeigt, dass die Zahl der
Geburten über diese Maßnahme nicht wesentlich steigen wird.
Ich bin außerdem der Überzeugung, dass Paare, für die
der Kinderwunsch so dringend ist, dass sie diese wahrhaftig nicht angenehme
und psychisch belastende Prozedur auf sich nehmen, in vielen Fällen
dies auch selber finanzieren werden.

Justine: Sterbegeld
macht die Toten nicht lebendig – aber wir brauchen neue Kinder. Im Moment
sind es 12.000 Kinder, die pro Jahr durch IVF oder ICSI entstehen, das
könnte allein den Jahresrentenbetrag jedes Einzelnen um 300 Euro
aufbessern. Warum ist man da so kurzsichtig?


Renate Schmidt: Diese Berechnungen sind leider sehr theoretisch.
Nicht aus jedem Kind – egal ob über künstliche Befruchtung oder
auf dem üblichen Weg entstanden – wird ein künftiger Rentenbeitragszahler.
Aus manchen werden nicht rentenbeitragszahlende Beamte, aus anderen Selbständige,
aus dritten leider vielleicht Sozialhilfeempfänger. Diese Rechnung
ist so nicht haltbar. Und ich betone nochmals: vielleicht wird die Zahl
der Geburten auf diesem Weg abnehmen, aber garantiert nicht auf null.
Denn in anderen Ländern werden die Kosten auch nicht vom Staat oder
von den Krankenversicherungen übernommen. Länder, in denen die
Zahl der Geburten über künstliche Befruchtung auch höher
sind als bei uns, z.B. die USA.

Moderator:
Kommen wir zu einem anderen Aspekt der Familienpolitik. Kürzlich
ist der dritte Girlsday erfolgreich zu Ende gegangen. Dazu eine ganz spezielle
Frage.

joachim2003:
10. Frage: Gibt es neben dem Girlsday auch mal den Boysday, um Jungs auch
einen Einblick in Berufe zu ermöglichen?

Renate Schmidt:
Natürlich gibt es das. Und ich hoffe, an allen Schulen und nicht
nur einmal im Jahr.
Außerdem geht es bei dem girlsday darum, dass Mädchen in Berufe
Einblicke gewinnen, in denen sie bisher absolut unterrepräsentiert
sind. Also vor allen Dingen in technisch orientierten Berufen.
Einige Schulen haben jetzt für die Jungen an diesem Tag ebenfalls
Möglichkeiten angeboten, sich mit Berufen auseinander zusetzen, in
denen sie unterrepräsentiert sind, z. B. Erzieher in Kindergärten,
Altenpflege und andere soziale Berufe, in denen es teilweise Männer
nur in seltenen Ausnahmefällen gibt.

Moderator:
Trotzdem gibt es vor allem bei Frauen Probleme, Arbeit und Familie unter
einen Hut zu bringen. Was muss über den Girlsday hinaus auf diesem
Gebiet passieren?

Renate Schmidt:
Eine ganze Menge. Wir sind in diesen Fragen leider Entwicklungsland, innerhalb
der europäischen Union, aber auch darüber hinaus. Und die Tatsache,
dass wir bei der Geburtenrate in Deutschland an der 180. Stelle von 191
Staaten liegen, hat ihre Ursache vor allen Dingen darin, dass die am besten
ausgebildete Frauengeneration, die es jemals in Deutschland gab, eine
geringe Chance hat, ihre Ausbildung auch beruflich zu nutzen und dennoch
Kinder haben zu können. Deshalb brauchen wir mehr und bessere Kinderbetreuungseinrichtungen,
aber auch bessere Arbeitsmöglichkeiten. Ich bin dabei, beides auf
den Weg zu bringen. Einmal dadurch, dass die vier Milliarden jetzt für
Ganztagsschulen investiert werden, und ab Ende 2004 1, 5 Milliarden Euro
für die Betreuung für die Kleinsten, die unter-3-Jährigen.
Außerdem habe ich mit Unternehmensverbänden und Gewerkschaften
eine Allianz für die Familien gegründet, mit dem Ziel, familienfreundliche
Arbeitsbedingungen anzubieten.

Günter Dantrimont:
Ist es nicht illusorisch, 100%ige berufliche Gleichberechtigung ohne familiäre
Gleichberechtigung erreichen zu wollen?

Renate Schmidt:
Wir brauchen beides. Wir brauchen echte Partnerschaft in der Familie und
gleiche Chancen und Pflichten im Beruf. Das heißt, die Väter
müssen sich mehr in der konkreten Arbeit für die Familie aber
auch im Haushalt engagieren und die Frauen werden mehr dazu beitragen,
das Familieneinkommen zu sichern. Das erstere kann man nun garantiert
nicht gesetzlich vorschreiben. Aber man kann dafür sorgen, dass die
Arbeitgeber die Inanspruchnahme von Teilzeitbeschäftigung eines Vaters
nicht als karriereschädlich bewerten, sondern als positive Erweiterung
seines Horizonts.

Moderator:
Warum gibt es aber immer noch so wenig Frauen in Toppositionen?

Renate Schmidt:
Aus dem gerade geschilderten Grund. Nachdem Frauen keine Übermenschen
sind, und sie in Deutschland über Jahrzehnte hinweg mit der Betreuung
der Kinder wesentlich alleingelassen worden sind, ziehen die Männer
in der Zeit, wo sie sich um die Kinder kümmern, beruflich an ihnen
vorbei. Und wenn sie dann wieder in den Beruf einsteigen, haben sie ihre
persönliche Karrierechancen verpasst. Genau das möchte ich durch
die geschilderten Maßnahmen ändern.

isuvwb: Wie
sehen Sie Home Arbeit am Computer, per Internet, dazu ??

Renate Schmidt:
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit
und Kindern zu verbessern. Für mich gehört Dezentralisierung
von Arbeit und damit auch Telearbeit dazu. In nicht wenigen Betrieben
wird das bereits praktiziert und zwar zum Vorteil von allen und in diesen
Fällen übrigens auch zum Vorteil einer nicht geringen Zahl von
Männern.

Moderator:
Einfache, aber wichtige Frage:

Christine:
Warum verdienen Frauen weniger als Männer?

Renate Schmidt:
Wir sind immer wieder beim selben Grund: Wenn heute Frauen und Männer
in den Beruf einsteigen, beträgt der durchschnittliche Einkommensabstand
rund 10% zu Lasten der Frauen.
Dies liegt vor allem daran, dass Frauen sehr viel häufiger die schlechter
bezahlten Berufe wählen und sehr viel seltener in die gut bezahlten
technischen Berufe gehen. Siehe unsere Diskussion zum Girlsday. Dieser
Einkommensabstand wächst dann mit zunehmendem Alter der Frauen auf
heute bis zu 30 % und hat seine Ursache in der häufigeren Unterbrechung
der Erwerbstätigkeit von Frauen.

Kathrin: Guten
Tag Frau Schmidt! Zum Thema Familienfreundlichkeit deutscher Unternehmen:
Was wird Ihr Ministerium in Zukunft dafür tun, um familienorientierte
Personalpolitik zu fördern? Mich interessiert im besonderen, ob es
gemeinsame Initiativen mit der Wirtschaft in diesem Bereich gibt.

Renate Schmidt:
Genau diese haben wir angeleiert. Die Unternehmensorganisationen haben
ein so genanntes Familien-Monitoring vor wenigen Wochen begonnen. Das
heißt, 10.000 Unternehmen werden auf unsere Bitte hin befragt, welche
familien- und frauenfreundliche Maßnahmen sie in ihren Betrieben
getroffen haben. So etwas hat es bisher in Deutschland noch nicht gegeben.
Die Ergebnisse werden im Oktober vorgestellt. Und wir haben dann vor Ministerium,
Arbeitgeber und Gewerkschaften, gemeinsam daraus Schlüsse zu ziehen
und Empfehlungen abzugeben. Darüber hinaus habe ich das Prognos-Institut
beauftragt, den betriebswirtschaftlichen Vorteil von derartigen Maßnahmen
zu berechnen, anhand von konkreten Unternehmen, kleinen, mittleren und
großen, die so etwas schon praktizieren. Diese Ergebnisse werde
ich ebenfalls vor Unternehmern dann öffentlich machen. Zum dritten
haben wir uns vorgenommen, so genannte lokale Bündnisse für
Familien zu installieren, wo alle Verantwortlichen in einer Kommune –
Arbeitgeber, Gewerkschaften, Wohlfahrtsorganisation, Kirchen und andere
– zusammenkommen, um konkrete Maßnahmen zu mehr Familienfreundlichkeit
zu ergreifen. Dies fürs Erste, mehr Platz habe ich nicht.

Moderator:
Politik praktisch umgesetzt? Dazu die folgende Frage zu Teilzeitarbeit
oder Kinderbetreuung?

isuvwb: Bieten
Sie in "ihrem" Ministerium Eltern diese Möglichkeit?

Renate Schmidt:
In einem ganz großen Ausmaß. Wir sind auch nach dem Urteil
anderer hier vorbildlich. Die hohe Geburtenrate in meinem Ministerium
bestätigt, dass solche Maßnahmen wirken.

WildCard: Welche
Maßnahmen ergreifen Unternehmen denn heutzutage schon zu diesem
Zweck, außer einer Quotenregelung?

Renate Schmidt:
Eine Quotenregelung ist in diesem Fall überhaupt nicht sinnvoll.
Es gibt Unternehmen, die haben besondere Wiedereinstiegsprogramme, bieten
Frauen die Möglichkeit, während der Familienphase Kontakt zum
Beruf zu halten, haben besondere Teilzeitmodelle, ermuntern Väter,
Elternzeit in Anspruch zu nehmen, haben besondere Förderprogramme,
um Frauen in Führungspositionen zu bringen (vor allem dann, wenn
sie zusätzliche Familienpflichten haben) und bieten Betreuungsmöglichkeiten
im Betrieb an oder kaufen sich in öffentliche Betreuungseinrichtungen
für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein. Hierzu gibt es konkrete,
so genannte best-practice Beispiele. Die müssen publik werden und
es muss deutlich werden, dass die nicht nur Kosten verursachen, sondern
auch betriebswirtschaftlich etwas bringen.

Schönfelder:
Man könnte aber gesetzlich verbieten, dass Frauen weniger verdienen,
indem entsprechende Arbeitsverträge unwirksam sind.

Renate Schmidt:
Frauen verdienen ja nicht weniger: bei gleicher Tätigkeit, gleicher
Qualifikation und gleicher Berufserfahrung wird es sehr schwer nachzuweisen
sein, dass es tatsächlich in nennenswertem Umfang (von Einzelfällen
abgesehen) eine ungleiche Bezahlung gibt.
Nur leider hapert es im Regelfall daran, dass es wegen der häufigeren
Unterbrechung der Erwerbstätigkeit eben nicht die gleiche Berufserfahrung
ist, und es häufig auch nicht die gleichen Tätigkeiten sind.
Ansonsten ist Lohndiskriminierung auch heute schon bei uns verboten. Und
jede Frau hat die besten Chancen einen Klage zu gewinnen, wenn es eine
ungleiche Bezahlung bei sonst gleichen Voraussetzungen gibt.

Moderator:
Neues Thema!

matheo: da
wir gerade beim Thema Familie sind. Wie sehen Sie den von der Opposition
befürchteten Verfall der Familie gegenüber den gleichgeschlechtlichen
Paaren und was gedenken Sie der "Homoehe" an weiteren Rechten
zuzugestehen???

Renate Schmidt:
Ich sehe keinen Verfall der Familie. Im Gegenteil: Familie ist derzeit
"in" wie nie.
Die Wertschätzung der Familie liegt heute bei rund 90% in allen Altersgruppen
– gegenüber der angeblich so heilen Welt der 50er Jahre ein deutliche
Steigerung, damals waren es gerade einmal
50%, die Familie für wichtig oder sehr wichtig hielten. Was die Frage
der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften betrifft, haben wir das, was
ohne Zustimmung des Bundesrates möglich war,
auf den Weg gebracht. Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen
sind weitere Veränderungen
nicht durchsetzbar.

Moderator:
Wenn wir schon so viel über neue Jobs reden….

Michelle: Hallo
Frau Renate Schmidt! ich bin zwar erst 17 Jahre alt und ich mag sie sehr!
Würden sie bitte für das Amt als "Bundespräsidentin"
plädieren?

Moderator:
Also die Ministerin soll sich wohl für das Amt bewerben.

Renate Schmidt:
Ich bin jetzt 42 Jahre lang erwerbstätig, in mindestens drei sehr
unterschiedlichen Berufen. Für mich sehr überraschend, hat mich
der Bundeskanzler gebeten, als Familienministerin in sein Kabinett einzutreten.
Diese Aufgabe mache ich gerne und möchte auch etwas erreichen. Das
ist aber in einem Zeitraum bis zur nächsten Bundespräsident(innen)wahl
gar nicht möglich. Deshalb bleibe ich Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Außerdem kommt noch was ganz wichtiges
dazu: Wie ich dieses Amt angenommen im letzten Oktober habe, habe ich
mit meinem Mann gesprochen und ich habe ihm versprochen, dass das jetzt
das letzte Mal ist, dass sich unser Berufs- und Familienleben nach meinen
Bedürfnissen richtet. Ich werde also nicht kandidieren und mein Versprechen
gegenüber meinem Mann halten.

Moderator:
Liebe Politik-Interessierte, eine Stunde ist vorbei. Vielen Dank für
Ihre Fragen, vielen Dank Frau Schmidt, dass Sie ins ARD-Hauptstadtstudio
gekommen sind. Dank auch an unsere User. Wir freuen uns, wenn Sie beim
nächsten Chat wieder dabei sind. Einen schönen Abend wünscht
das tacheles.02-Team.

Renate Schmidt:
Einen wunderschönen Abend, ich hoffe, ihr schwitzt nicht so wie ich.
Ich muss jetzt noch zu "Vorsicht Friedmann".