Am Donnerstag, den 16. Februar, war Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, die stellvertretende Vorsitzende der
FDP Bundestagsfraktion und ehemalige Bundesjustizministerin, zu
Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de.
Die rechtspolitische Sprecherin der FDP beantwortete Fragen zum
Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Luftsicherheitsgesetz,
zu Bundeswehreinsätzen im Inneren und zu den Mohammed-Karikaturen.

Moderator:
Heute begrüßen wir im ARD-Hauptstadtstudio Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Sie war Bundesjustizministerin und ist derzeit rechtspolitische
Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Zuletzt hat sie in der Diskussion
um die innere Sicherheit und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren
dezidiert Stellung bezogen. Selbstverständlich ist unser Chat
auch heute wieder für Fragen aus anderen Themenbereichen offen.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, können wir loslegen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Aber sofort.
Ich freue mich auf die Diskussion und diesen Chat.

Moderator: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wie
können wir dafür sorgen, dass die Fußball-WM in
unserem Land wirklich sicher abläuft?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Dazu ist
es zuerst ganz notwendig, dass die Bundespolizei und die Polizeien
der Länder gut ausgerüstet sind, es ausreichend Polizisten
gibt und natürlich genaue Einschätzungen möglicher
Gefahren vorliegen.

hkrapp: Ich halte die Diskussion für überzogen.
Um den notwendigen Schutz leisten zu können, kann man gerne
Personal anderer Staatsorgane hinzuziehen. Die vorgebrachten Bedenken
sind eher verwaltungstechnisch, aber man kann ja Soldaten kurz einen
Eid auf die Landesverfassung leisten lassen und sie dann der Polizei
unterstellen (als Ehrenbeamte ggf.). Wo liegt da das Problem?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Bundeswehrsoldaten
dürfen nach unserer Verfassung nicht allgemeine Polizeiaufgaben
wahrnehmen. Sie sollen Deutschland verteidigen, aber nicht Störer
und Kriminelle bekämpfen. Und außerdem sind sie dafür
nicht ausgebildet. Ich will keine Wehrpflichtigen in die Auseinandersetzung
mit Hooligans schicken.

annett: Reicht es – gerade im Hinblick auf mögliche
Terroranschläge bei der Fußball WM – aus, lediglich die
Polizei zu stärken?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt starke
Bundespolizei- und Landespolizeikräfte. Sie sind für genau
diese Gefahren ausgebildet, und deshalb sind sie die entscheidende
Sicherheitsgarantie in Deutschland.

mando: Wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen
nach einem Terroranschlag bei der WM vorgehalten wird, dass dies
durch eine entsprechende Grundgesetzänderung und Kompetenzerweiterung
der Bundeswehr verhindert hätte werden können?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Dieser Vorhalt
wäre natürlich unbegründet, denn mögliche Terroranschläge
können nur durch erfahrene Polizisten und eventuell unsere
Sicherheitsdienste im Vorfeld aufgespürt werden. Die Bundeswehr
könnte Terroranschläge nicht verhindern.

k.gustav: Hallo! Warum ist die FDP so zurückhaltend
beim Bundeswehreinsatz. Es ist doch nicht wirklich eine Militarisierung
der Gesellschaft zu befürworten, wenn Soldaten irgendwo zusätzlich
vor einer Botschaft am Zaun stehen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Soldaten
sind nicht dafür da, irgendwo an einem Zaun zu stehen und Wehrpflichtige
sind nicht dafür da, in Schießereien bei der Verteidigung
dieses Zaunes verwickelt zu werden. Die Bundeswehr ist doch nicht
Lückenbüßer für die Polizei.

Moderator: Wie bezahlen wir eine gut oder gar
besser ausgerüstete Polizei?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Bund und
Länder müssen die Polizisten gut bezahlen und auch das
Geld für modernste Ausstattung bereithalten. Das ist die wichtigste
Staatsaufgabe und dafür muss Geld da sein.

endederfahnenstange: Polizei und Bundeswehr dürfen
Ihrer Meinung nach nichts miteinander zu tun haben, zur Not müssten
die Polizeien der Länder verstärkt werden. Aber da werden
immer mehr Stellen gekürzt? Wie soll das gehen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Da brauchen
wir einen Politikwechsel. Es ist unverantwortlich, dass Innenminister
Stellen kürzen, und dann nach der Bundeswehr rufen. Das Geld
für die Polizisten ist da, wenn man die richtigen Prioritäten
setzt.

moti: Könnte der Ursprung der Diskussion
vom Einsatz der Bundeswehr nicht darin liegen, dass man festgestellt
hat, dass die Polizei eben nicht genug ausgerüstet und vorbereitet
ist?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Der Ursprung
für die Diskussion liegt darin, dass die CDU/CSU seit Jahren
den Bundeswehreinsatz im Innern fordert, um eine Konzentration der
Sicherheitsaufgaben auf Bundesebene zu erreichen. Sie wollen die
Bundeswehr zu mehr Einsetzen als nur zum Objektschutz.

aurel24: Ich sitze hier mit einer 10. Klasse Hauptschule.
Könnten Sie die Bedeutung des Urteils für uns noch einmal
zusammenfassen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Gerne. Das
Urteil ist so bedeutend, weil der Schutz der Menschenwürde
in Artikel 1 Grundgesetz gestärkt und als absolut bewertet
wird. Es darf keine Abwägung zwischen Menschenleben geben.
Es darf also keine vollbesetzte Passagiermaschine mit einigen Terroristen
an Bord abgeschossen werden, um einen Anschlag am Boden zu verhindern.
Menschen sind nicht Objekte.

Citizen Schmidt: Ein Flugzeug fliegt direkt auf
ein Atomkraftwerk zu, aber die Luftwaffe darf nicht eingreifen.
Wie steht es mit der Menschenwürde der Bewohner?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Und wie steht
es mit der Menschenwürde der 500 unbeteiligten Passagiere?
Es muss eben alles getan werden, um ein Flugzeug vorher abzudrängen
oder noch besser, durch Verschärfung der Bodenkontrollen dürfen
Terroristen nicht mehr an Bord gelangen.

Kopfmensch: Wird die ganze Debatte nicht zu hoch
gehängt? Hier werden Fälle diskutiert, die total unwahrscheinlich
sind. Nur den Parteien nutzt das zur Profilierung.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich teile
Ihre Einschätzung. Am unwahrscheinlichen Ausnahmezustand wollen
einige Politiker ihre Sicherheitsvorstellung durchsetzen. Deshalb
brauchen wir eine ruhige und keine populistische Diskussion.

niels: Die Menschenwürde muss doch neben
einem Individualgut auch einen allgemeinen Charakter haben. Wie
kann es angehen, dass ein Atomkraftwerk-Fallout 500.000 Menschen
verseucht, da man 500 Menschen nicht sterben lassen wollte?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Der Staat
hat kein Recht, Menschen vorsätzlich zu töten. Und auch
im Flugzeug werden sie nicht zu einer anonymen Masse. Aber der Staat
muss alles tun, um diese Gefahrensituation zu verhindern. Bei besseren
Bodenkontrollen wären die Terroristen in Amerika nicht in die
drei Flugzeuge am 11. September 2001 gekommen.

Moderator: Für bessere Bodenkontrollen soll
ja nun gerade das Luftsicherheitsgesetz sorgen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das Luftsicherheitsgesetz
ist gerade in diesen Teilen verfassungskonform und ungeheuer wichtig.
Es gilt nach wie vor und muss mit allem Nachdruck umgesetzt werden.

Regolabin: Wie stehen Sie zu den Schäuble-Plänen
einer Grundgesetz-Änderung?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ablehnend!
Und ich hoffe, dass es jetzt keinen Schnellschuss für eine
GG-Änderung von der CDU geben wird.

D@ndy: Werden Sie Verfassungsbeschwerde gegen
den evtl. Bundeswehreinsatz der Bundeswehr bei der WM einreichen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird ohne
Grundgesetz-Änderung keinen Einsatz geben. Das kann ein Innenminister
nicht verantworten. Zulässig ist es, die Bundeswehr mit ihren
Sanitätern einzusetzen und mit ihren technischen Mitteln gegen
ABC-Waffen. Deshalb wird keine Klage notwendig werden, hoffe ich.

Moderator: Darf man da noch einen heißen
Tanz mit der Union – immerhin ihr Wunschkoalitionspartner – erwarten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird eine
heiße Auseinandersetzung in den nächsten Monaten geben.
Die Union wollte mit uns in der Koalition bis 1998 schon immer eine
Grundgesetz-Änderung für den Einsatz der Bundeswehr in
Angriff nehmen. Das haben wir immer verhindert.

Detlef_1967: Sie erwähnen oft Wehrpflichtige
als Ablehnungsgrund. Würden Sie der Vorlage zustimmen, wenn
Wehrpflichtige – wie auch bei Auslandseinsätzen – vom Einsatz
ausgeschlossen wären?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ohne Wehrpflichtige
ist die Bundeswehr gar nicht in der Lage, Einsätze im Inneren
vorzunehmen. Die Bundeswehr ist mit den derzeitigen Auslandseinsätzen
schon überfordert. Das sagt ja auch der Verteidigungsminister.

realampsycho: Hallo. Ich verstehe die Diskussion
nicht so ganz: Bei einer Geiselnahme wird doch auch nicht spekuliert,
in wie fern man Menschenleben gegeneinander aufrechnen kann.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Bei einer
Geiselnahme, z.B. in einer Sparkasse, darf als letzte Möglichkeit
der Geiselnehmer von der Polizei erschossen werden, aber nicht die
Geisel. Die Situation ist nicht vergleichbar.

OberG: Wie ist ihre Meinung bezüglich den
provozierenden Äußerungen iranischer Politiker? Wie lange
wird sich die westliche Welt das noch anhören?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die westliche
Welt darf sich nicht provozieren lassen. Sie muss hart in der Sache
antworten, sie muss alles tun, damit es nicht zu einer Eskalation
im Nahen Osten kommt.

taolie: Die Frage Bundeswehr-Einsatz WM 2006 wäre
auch früher erkennbar gewesen; warum wird das erst kurz vor
dem "Tore Schießen" thematisiert. Aus meiner Sicht
ist das unredliche Salamitaktik bestimmter Interessengruppen auf
dem "Sicherheitsspielfeld“. Wie sehen Sie das?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist eine
sehr kluge Einschätzung. Wenn die Bundesregierung der Auffassung
gewesen wäre, dass die Sicherheit zur WM nicht mit Polizeikräften
gewährleistet werden kann, hätte sie sich doch gar nicht
für die WM beworben.

Jan80: Welches Instrument wäre überhaupt
geeignet gegen Terroristen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Am wichtigsten
ist die Arbeit im Vorfeld, also die Arbeit die Sicherheits- und
Nachrichtendienste. Es gibt sehr viele Maßnahmen gegen Terroristen,
z.B. auch die Identifikation über Pässe mit biometrischen
Merkmalen. Ein Patentrezept gibt es nicht.

moti: Ist es nicht fast schon eine amerikanische
Tradition der Angstschürung, die hier betrieben wird?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Den Eindruck
habe ich auch manchmal. Je größer das Schreckensszenario
gezeichnet wird, desto mehr kann politisch durchgesetzt werden.
Deshalb: Ruhe und Sachlichkeit ist jetzt erste Pflicht der Politiker.

Regolabin: Ist die FDP der SPD in rechtspolitischen
Fragen nicht viel näher als der Union?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Als Schily
Innenminister war, traf das überhaupt nicht zu. Die SPD hat
bisher immer den Bundeswehreinsatz im Innern abgelehnt. Darin unterstützen
wir sie.

reisbaby: Die Krawalle der Islamisten, ausgelöst
durch die Mohammed-Karikaturen, sind auch Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung. Wie können wir diese gegen diese Wut und diesen
Hass schützen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Zunächst
dürfen wir nicht mit gleicher Münze heimzahlen, also nicht
mit Hass reagieren. Aber wir dürfen auch nicht zurückweichen
bei der Verteidigung der Meinungsfreiheit. Wir haben nur eine Chance,
wenn es Dialog mit den vernünftigen Muslimen gibt.

Raven_MI: Was war ihre Hauptaufgabe als Justizministerin
oder was empfanden sie als das Wichtigste?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: In meiner
Amtszeit stand die Verbesserung der Stellung der Kinder im Vordergrund,
Stichwort Kindschaftsreform. Aber am wichtigsten war mir immer,
die Bedeutung unseres Rechtstaats und unserer Grundrechte öffentlich
deutlich zu machen. Viele wissen gar nicht, was für ein Schatz
das ist.

marvin: Von wem geht für unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung ihrer Meinung nach eine größere Gefahr aus:
von Terrorosten oder von denen, die im Rahmen des ‘Kampfes gegen
den Terror’ die Grundrechte immer weiter reduzieren?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich
sind Terroristen und aggressive autoritäre Regime eine Gefahr.
Aber für mich ist die Gefahr noch größer, wenn wir
als Reaktion unsere rechtsstaatliche Ordnung aufgeben. Dann haben
die Terroristen ihr Ziel erreicht.

Anton: Sind Ihrer Meinung nach die Nachrichtendienste
nach der Personalkürzung in der Lage, die Bundesrepublik rechtzeitig
vor Terroranschlägen zu schützen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Nachrichtendienste
haben in den letzten Jahren ein Schwergewicht ihrer Tätigkeit
auf die Beobachtung der terroristischen Gefahren gelegt. Das ist
gut. Mit über 6.000 Beamten des Bundesnachrichtendienstes sind
wir gut ausgestattet.

Frager1: Weshalb bleibt bei der Bundeswehreinsatzdiskussion
die Frage eines sinnvollen Einsatzes schon vorhandener Ressourcen
im Hintergrund?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird zuwenig
von den Matadoren der Grundgesetz-Änderung betont. Vorhandene
Ressourcen sind eben die gesamte Sanitätsversorgung und die
Spezialausstattung gegen chemische und biologische Waffen. Das alles
darf natürlich genutzt werden.

Witzel: Warum sollen biometrische Merkmale in
Pässen helfen? Selbstmordattentäter sind meist mit den
eigenen echten Pässen gereist und nicht mit gefälschten.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Mit einem
biometrischen Merkmal kann man gerade bei schwierigen Namen mit
unterschiedlicher Schreibweise die Identifizierung sicherstellen.
Ein Allheilmittel ist es natürlich nicht. Aber ein Baustein.

Tigerchen: Wieso versucht Herr Schäuble die
Wertungen des Grundgesetzes zu umgehen, indem er das Militär
mit Objektschutz betreuen will?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Herr Schäuble
will eine Grundgesetz-Änderung für den Objektschutz. Er
will sich eben davor drücken, seine eigene Bundespolizei für
die WM aufzustocken.

mando: Für wie wahrscheinlich halten Sie
Terroranschläge während der WM?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Fachleute
für die Einschätzung der Sicherheitslage sehen keine akute
Gefahr. Ich selbst habe keine zusätzlichen Erkenntnisse.

Wähler: Warum habe ich dann einen Pass, wenn
mein bisheriger das nicht sicherstellt?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die technischen
Neuerungen in den letzten Jahren sollen eben gerade bisherige Schwächen
hinsichtlich einer Fälschung beseitigen. Aber im Ernst: Das
betrifft ja immer nur wenige Menschen und mit Sicherheit nicht die
allergrößte Mehrheit der Deutschen.

marvin: Fraglos geben Großveranstaltungen
besondere Ziele ab. Warum kann man nicht im Rahmen der EU die Partnerländer
um Unterstützung ersuchen, wenn die Ressourcen nicht reichen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das kann
man natürlich, wenn die Innenminister in Deutschland meinen,
dass die eigene Polizei nicht ausreicht. Dann können wir Hilfe
von Österreich, Holland, Belgien und auch Frankreich erbitten.
Es wäre aber ein gewisses Armutszeugnis für die deutschen
Innenminister.

D@ndy: Was sehen Sie als die wichtigsten Dinge
an, die wir als Schutz vor Angriffen von außen verbessern
müssen? Und wie sehen Sie die Umsetzungsmöglichkeiten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn sie
Terroranschläge meinen, dann muss die Sicherheitskontrolle
am Boden, sprich an den Flughäfen, in Häfen und in Flugzeugen
noch deutlich verbessert werden. Und natürlich müssen
öffentliche Plätze mit einer Ansammlung von tausenden
von Menschen optimal mit der Polizei geschützt werden. Hooligans
sind schon vor den Stadien abzufangen und gegebenenfalls in Arrest
zu nehmen.

JanKrugelmann: Finden Sie nicht, dass bezüglich
einer Grundgesetzänderung nicht das Bundesverfassungsgericht
sondern die parlamentarische Zweidrittelmehrheit in jedem Fall das
letzte Wort haben sollte? Die Ewigkeitsgarantie ist über Artikel
1 Grundgesetz ja auf jeden Artikel anwendbar! Könnte man gegebenenfalls
Abwägungen im Rahmen des Luftsicherheitsgesetzes nicht über
die allgemeinen Rechtfertigungstatbestände im Einzelfall durchführen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Sie haben
natürlich Recht, eine Grundgesetz-Änderung müssen
der Bundestag und der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschließen.
Eine Abwägung ist nicht zulässig, wenn es um den Schutz
von Menschen und den Schutz ihrer Menschenwürde geht. Das hat
das Bundesverfassungsgericht sehr klar gesagt.

hoping: Was halten Sie von der US-Politik im Zusammenhang
mit dem Irak und den Iran?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ehrlich gesagt
sehr wenig. Der nach meiner Einschätzung falsche Krieg im Irak
hat die Terrorgefahr deutlich erhöht. Gegenüber dem Iran
müssen USA, EU, UN und Nato mit einer Stimme sprechen.

bloodhand: Wer steckt ihrer Meinung nach hinter
der Aufhetzung von Teilen der islamischen Bevölkerung gegen
den Westen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das sind
militante Gruppen im Iran, auch in anderen Staaten des Nahen Ostens.
Das sind die Gruppen, die den Heiligen Krieg vertreten. Leider gibt
es davon sehr viele.

Jan80: Ich halte es für dumm, die Karikaturen
zu veröffentlichen. Ein ‘Recht haben’ und es auch ‘auszuüben’,
sind zwei verschiedene Sachen. Die westlichen Länder sollten
zumindest ‘gute Gewinner’ sein und nicht noch andere Gefühle
verletzen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich teile
Ihre Meinung, dass trotz Meinungsfreiheit immer auch überlegt
werden sollte, wie Karikaturen denn auf die Adressaten wirken. Ich
halte es aber für falsch, jetzt alle Karikaturen, wie z.B.
im Tagesspiegel, nicht mehr zu veröffentlichen. Die iranische
Regierung testet derzeit, wie weit sie mit Morddrohungen gehen kann.

Frager1: Bundespolizei aufstocken hieße
ja noch höhere Kosten und eine weiterhin viel zu teure Bundeswehr,
die quasi nur ‘zum Spaß ‘ vorhanden ist.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die richtige
Ausstattung der Bundespolizei darf nicht an Kosten scheitern. Die
Bundeswehr gehört grundlegend reformiert. Zum Spaß ist
sie nicht da, sondern sie nimmt wichtige Aufgaben, beispielsweise
auch im Balkan wahr.

Austa: Bisher wurden immer die wichtigen Aufgaben
der Bundeswehr im Ausland erwähnt. Wann wird die Bundeswehr
für diese Aufgaben endlich speziell aufgestellt, sprich Abschaffung
der Wehrpflicht, die ja momentan keine ‘richtige ‘ Aufgabe haben
und momentan eh keine Wehrgerechtigkeit herrscht. Das ist doch ein
großes Unrecht in unserem sogenannten ‘Rechtsstaat’.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP fordert
seit mehreren Jahren die Aussetzung der Wehrpflicht als ersten Schritt.
Leider lehnen CDU und SPD das ab. Die Bundeswehr muss nach Auffassung
der FDP noch besser spezialisiert werden für internationale
Einsätze. Das geht nicht mit Wehrpflichtigen.

18%: Bundeswehrsoldaten könnten im Inneren
eben solche Aufgaben wie z.B. im Kosovo wahrnehmen, zu denen sie
sehr wohl ausgebildet sind! Ich denke da insbesondere an Kontrollen
von Personen und Kraftfahrzeugen auf dem Weg zu Großveranstaltungen.
Würde das nicht die Polizei entlasten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Bundeswehr
ist für diese Aufgaben eben generell nicht ausgebildet. Sie
nimmt diese Aufgaben im Ausland nur vorübergehend und mit Unterstützung
von internationalen Polizeikräften wahr. Außerdem will
ich nicht, dass Uniformierte Soldaten Autos kontrollieren. Das muss
allein bei der Polizei bleiben.

roflkopter: Wie kann es sein, dass Deutschland
und die EU den Palästinensern nicht sofort den Geldhahn zugedreht
haben, nachdem die Hamas an die Macht gekommen ist?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Zu Recht
überlegt die EU, wie mit einer künftigen Regierung in
den palästinensischen Gebieten umgegangen wird. Wir wissen
ja noch gar nicht, wie eine solche Regierung aussehen wird. Sollte
die Hamas die Forderungen nach Absage an Gewalt und Anerkennung
Israels anerkennen, kann man mit ihnen auch in Regierungsverantwortung
sprechen und verhandeln.

miskle: Was halten Sie von den Bestrebungen des
Bundesministeriums der Justiz zur Änderung des Urhebergesetzes?
Hier wir doch das Potenzial gelegt, um Urheber und Verlage und damit
letztlich Arbeitnehmer zu gefährden?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte
einige Vorschläge des Bundesjustizministeriums für gut.
Zum Beispiel die bessere Stellung bei unbekannten Nutzungsarten.
Verhandelt werden muss dringend über die Verwendung von Privatkopien
und über die sogenannte Bagatellregelung. So darf das Gesetz
jedenfalls nicht bleiben.

oportugues: Die FDP lehnt eine Rente mit 67 mit
Verweis auf ihr Rentengesamtkonzept ab. Können Sie einmal kurz
erläutern, wie dieses aussieht?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: In Stichworten:
Verkürzung der Ausbildung und damit früherer Beginn der
Arbeit. Stärkung der privaten Vorsorge und der betrieblichen
Rente. Entwicklung der gesetzlichen Rente langfristig zur Grundsicherung.

MIMUEX: Will die FDP mit einem Untersuchungsausschuss,
der ein eventuelles Fehlverhalten der Regierung Schröder durchleuchtet,
bei der CDU/CSU als ‘Partner aus der Opposition’ punkten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Parteipolitische
Überlegungen spielen dabei wirklich nicht die Rolle. Eine Aufklärung
über die Verschleppung deutscher Staatsangehörige und
die Rolle deutscher Sicherheitskräfte ist im allgemeinen Staatsinteresse
und im Interesse der Bürger. Ich hoffe, dass die Bundesregierung
in ihrem Bericht in der nächsten Woche umfassend Stellung bezieht
und es dann keinen Untersuchungsausschuss mehr geben müsste.

Moderator: Also ist die FDP aus pragmatischen
Gründen erst mal auf die Linie der Grünen umgeschwenkt?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Grünen
sind leider von der Linie der FDP abgeschwenkt, als es Ende letzten
Jahres um die Einrichtung eines U-Ausschusses ging. Jetzt bleibt
nichts anderes übrig, als zunächst auf den Bericht der
Bundesregierung zu warten.

roflkopter: Würde Deutschland sich an einem
eventuellen Iran-Krieg beteiligen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Frage
stellt sich im Moment nicht, aber ich kann es mir nicht vorstellen.

pawlik: Wieso wird von den Bürgern eigentlich
immer mehr abverlangt, etwa längere Arbeitszeiten, Rente erst
mit 67! Wir haben doch genug Arbeitslose, wenn diese Leute alle
die Mehrarbeit der anderen übernehmen würden, hätte
man doch viele Probleme gelöst. Meiner Meinung nach gibt es
nicht zu wenig Arbeit in Deutschland, sondern viel mehr ist die
vorhandene Arbeit ungerecht verteilt!

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Leider ist
es nicht so einfach, da die freien Arbeitsplätze zunehmend
nicht von den zurzeit Arbeitslosen besetzt werden können, wegen
anderer Qualifikationen, fehlender Fachkenntnisse. Ich halte es
nicht für überzogen, 40 Stunden die Woche zu arbeiten.
Wir brauchen in den nächsten Jahren viel mehr Fachkräfte,
da gibt es jetzt schon einen Mangel.

Moderator: Das waren 60 Minuten tagesschau-Chat.
Viele interessante Fragen sind eingegangen, die wir leider nicht
alle berücksichtigen konnten. Dennoch vielen Dank an alle,
die mitgemacht haben. Besonderen Dank auch an Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
dass Sie heute Zeit für unsere User hatten. Nächster Gast
bei uns ist die Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Sie wird am Mittwoch, den 13.März zum tagesschau-Chat ins ARD-Hauptstadtstudio
kommen. Beginnen werden wir auch dann pünktlich um 13 Uhr.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es hat mir
riesigen Spaß gemacht. Warum geht es eigentlich nicht zwei
Stunden lang?