Am Dienstag, 5. April, war Prälat Dr. Karl Jüsten zu Gast
im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Jüsten stellte sich den Fragen rund um den Tod von Papst Johannes
Paul II., die anstehende Papstwahl und mögliche Kirchenreformen.

Moderator:
Liebe Politik-Interessierte, willkommen im tacheles.02-Chat. Die
Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de
und wird unterstützt von tagesspiegel.de. Zum Chat ist heute
der Leiter des katholischen Büros der deutschen Bischöfe,
Prälat Karl Jüsten ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen.
Herr Jüsten, sind Sie bereit für den 60-Minuten-Chat mit
unseren Usern?

Karl Jüsten: Ja.

Fritzchen: Hallo Herr Jüsten,
wie sehen Sie die Chancen für Kardinal Ratzinger, wenn man
bedenkt, dass die Kirche einen älteren Papst will, der nicht
allzu viele Veränderungen macht und das Werk von Johannes Paul
II. fortsetzen soll?

Karl Jüsten:
Ich glaube Kardinal Ratzinger wird wichtig sein für das Konklave,
aber ich glaube nicht, dass er selbst Ambitionen hat auf dieses
Amt, denn er hat in der Vergangenheit schon häufiger Papst
Johannes Paul II. darum gebeten, ihn von der Bürde seines bisherigen
Amtes zu befreien.

Zugbringer:
Muss der nächste Papst sich weiter auf die weltlichen Bedürfnisse
der Bevölkerung einlassen?

Karl Jüsten:
Ja, der Papst muss sich schon deshalb darauf einlassen, da er für
Frieden und Gerechtigkeit in der Welt eintritt. Viele Menschen leben
in bitterster Armut. Da muss er sich Gehör verschaffen, um
diese Nöte zu beheben.

Zugbringer:
Was ist Ihr Rat für den nächsten Papst um die Kirchenaustritte
zu stoppen und in Kircheneintritte zu verwandeln?

Karl Jüsten:
Das ist eine schwierige Frage. Wenn wir das in Deutschland selber
wüssten, dann hätten wir damit sicher schon angefangen.
Aber ich glaube, es ist besonders wichtig, die Kirche mit einem
menschenfreundlichen Antlitz zu vertreten. Wenn er eine solche Ausstrahlung
hat und darüber hinaus die Menschen mit seiner Botschaft auch
im Herzen erreicht, dann kann er viel bewegen. Sicher muss er auch
einige neue Antworten finden auf Fragen, die die Menschen unserer
Zeit umtreiben.

Moderator:
Nachfrage zu Kardinal Ratzinger:

fritzchen:
Muss denn Ratzinger selbst Ambitionen haben, oder ist es nicht vielmehr
ein ‘MUSS ‘ wenn er vorgeschlagen werden sollte? Kann er sich dessen
entziehen? Wissen auch die anderen Kardinäle, dass Kardinal
Ratzinger ‘nicht will’, und nehmen sie darauf Rücksicht?

Karl Jüsten:
Jeder ist frei das Amt anzunehmen oder auch nicht. Und jeder der
weiß, welche Bürde dieses Amt mit sich bringt, wird sich
gut überlegen ob er auf Grund seines Alters und seiner Kraft
sich das zumuten möchte. Es ist ja noch nicht ausgemacht, dass
es ein alter Kardinal werden soll. Wenn es ein Deutscher werden
sollte, wovon allerdings nur wenige ausgehen, dürfen wir in
Deutschland stolz sein.

Moderator:
Apropos Alter:

GertFroebe552:
Meine Frage: Besteht bei den langen Amtszeiten des Papstes nicht
die Gefahr, dass die Kirche sich nicht schnell genug reformieren
und sich dem Zeitgeist nicht mehr anpassen kann?

Karl Jüsten: Nicht
alle Päpste haben ein so lange Amtszeit gehabt wie der letzte.
Ein langes Pontifikat hat die Chance, dass der Amtsinhaber mit langem
Atem in der Kirche wirken kann. Ein älterer Papst, der vielleicht
davon ausgeht, dass aufgrund seiner Lebenszeit die Amtszeit kürzer
bemessen ist, wird vielleicht schneller auf die Umsetzung seiner
Ideen pochen. So hat z.B. Johannes XXIII, der schon zu Beginn seines
Papstamtes um seine labile Gesundheit wusste, das Zweite Vatikanische
Konzil einberufen, das die Kirche erheblich veränderte. Die
Wirksamkeit eines Papstes bemisst sich also nicht nach der Länge
des Pontifikats.

Moderator: Kommen
wir zu inhaltlichen Fragen?

Arkonia: Meinen
sie nicht auch, dass es endlich einmal Zeit wird, besonders für
den nächsten Papst, die Rolle der Frau in der katholischen
Kirche zu ändern?

Karl Jüsten:
Sie fragen nicht enggefügt auf die Übernahme des Priesteramtes
für Frauen. Bei dieser Frage tut sich die Kirche in der Tat
schwer, weil sie nicht aus dem Blickwinkel der Geschlechtergerechtigkeit
beantwortet wird, sondern aus theologischen Gründen. Im Sinne
der Geschlechtergerechtigkeit müsste die Frage sicher anders
beantwortet werden, denn die Kirche tritt für die Geschlechtergerechtigkeit
ein. Deshalb muss auch sicher noch mehr daran getan werden, die
Rolle der Frau neben dem Priesteramt neu zu klären. Da, glaube
ich, ist in der Tat noch ein großer Spielraum. In Deutschland
könnten z. B. viele Führungspositionen schon jetzt problemlos
auch von Frauen begleitet werden. Da bleibt noch viel zu tun.

Moderator:
Aber die Frauen sind doch nicht geweiht? Deshalb sind sie weiter
von wichtigen Dingen ausgeschlossen.

Karl Jüsten:
Das stimmt. Dieses Problem müssen wir aushalten.

Moderator:
Es gibt noch weitere Felder zu beackern? Stichwort Zölibat.

Lutwin:
Ist davon auszugehen, dass ein neuer Papst den doch konservativen
Kurs seines Vorgängers weiter verfolgt, oder wird es Reformen
geben, etwa in Form der Abschaffung des Zölibats?

Karl Jüsten:
Den bisherigen Papst einfach nur als konservativ zu bezeichnen,
halte ich für zu kurz. Aber er hat sicher in Fragen, die die
Kirche im Inneren betreffen, einen Kurs gefahren der auf das Bewahren
der Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgerichtet
war. Manche in der Kirche wünschen sich, dass man über
das, was in diesem Konzil gewünscht war, hinausgeht. Und da
schauen wir mal, ob der neue Papst das auch so sieht.

Dfbdb:
Für die Gleichberechtigung spricht: Vor Gott sind alle Menschen
gleich. Was spricht theologisch dagegen?

Karl Jüsten:
Im Chat ist es nicht so einfach eine komplizierte Frage einfach
zu beantworten, aber ich werde mich bemühen: Nach Auffassung
des Lehramtes hat Jesus in seiner Nachfolge neben Jüngerinnen
und Jüngern die Apostel berufen. Die Apostel waren beauftragt
die Kirche zu führen, die nach der Himmelfahrt Jesu entstand.
Die Apostel wiederum haben als ihre Nachfolge die so genannten Episkopen
(Bischöfe) berufen. Wegen der schnell wachsenden Gemeinden
haben sie sich zur Hilfe so genannte Presbyteroi (Priester) hinzugezogen,
die sie dazu auch weihten. Neben den Priestern gab es immer auch
Diakone. Es ist unwahrscheinlich, dass unter den Bischöfen
und Priestern Frauen waren. Für die Diakone lässt sich
das nicht so einfach sagen. Deshalb sagt die Kirche, dass für
das Amt des Bischofs und des Priesters nur Männer ausgewählt
werden können. Beim Diakonamt ist es zur Zeit Praxis. Viele
Wissenschaftler und die Würzburger Synode von 1972 sagen, dass
das Amt des Diakons auch für Frauen offen stehen kann. Da können
wir mal sehen, wie das so weitergeht.

Harold1977:
Kann/Darf ein neuer Papst überhaupt von grundsätzlichen
Lehrmeinungen wie der Frauenordination oder z.B. dem gemeinsamen
Abendmahl abweichen?

Karl Jüsten:
Können darf der Papst, denn das lehrt ja das Dogma der Unfehlbarkeit.
Aber er ist natürlich an das gebunden, was die Kirche immer
schon gelehrt hat. An der Friedensethik der Kirche kann man sehen,
dass sich eine Sichtweise auch schon mal ändern kann. So war
die Kirche immer für das Ideal des Friedens, glaubt aber in
früheren Zeiten, dass dieser auch durch einen Krieg hergestellt
werden kann. Und der jetzige Papst hat das korrigiert, indem er
gesagt hat: Krieg ist immer eine Niederlage für die Menschheit.

28:
Ist es nicht so, dass über neunzig Prozent aller Katholiken
jeden Tag ganz bewusst gegen Kirchengesetze verstoßen, weil
sie nicht anders können und wollen? Bei aller Zuneigung zum
verstorbenen Papst: Ist die Kirche innen nicht völlig hohl?
Hat sie überhaupt noch ein Volk?

Karl Jüsten:
Ob 90 Prozent aller Katholiken täglich gegen Kirchengebote
verstoßen, weiß ich nicht. Aber selbst wenn dem so wäre
gilt in der Kirche der Grundsatz: Die Kirche liebt nicht die Sünde
aber den Sünder/die Sünderin. Also man kann guten Gewissens
mit der Kirche sein und wissen, dass man nicht alle Gebote einhält.

Moderator: Zum
Dialog der Kulturen und Religionen:

Ichausberlin: Was,
meinen Sie, wird die Haltung des neuen Papstes gegenüber anderen
Religionen sein. Johannes Paul II. hat da ja wohl weitestgehend
Neuland betreten. Wird sich die Dialogkultur, die er initiiert hat,
fortsetzen lassen?

Karl Jüsten:
Ich gehe davon aus, dass der künftige Papst das so machen wird.
Wichtig ist allerdings auch, dass er alle Mitglieder der Kirche
und insbesondere alle Menschen der Christenheit weltweit davon überzeugt,
dass das der einzige Weg ist, um friedlich miteinander zu leben.

Moderator:
Muss der nächste Pontifex nicht vor allem den Dialog mit dem
Islam suchen?

Karl Jüsten: Ja.
Allerdings wird in Deutschland nicht genügend wahrgenommen
wie viele Strömungen es im Islam gibt. Der Islam kennt keine
Autorität wie den Papst und deshalb ist es schwer für
ihn, einen geeigneten Partner zu finden. Aber diese Frage ist ja
nicht nur eine Frage des Papstes, sondern aller Christen. Jeder
sollte an dem Ort, an dem er lebt, den Dialog mit gläubigen
Muslimen führen.

Moderator:
Etwas Literaturkritik:

verboomen:
Ich habe das Buch ‘Wir klagen an ‘ gelesen. Es war in Italien Anfang
2000 ein Bestseller. Die nackte Wahrheit über den Vatikan wurde
dargestellt. Einer der Autoren, Luigi Marinelli, hat viele Probleme
mit dem Vatikan gehabt. Das Buch handelt von Cliquen, die Macht
haben und entscheiden, wer der nächste Papst wird. Man redet
nie darüber in den Medien, aber das Verlangen nach Änderungen
in den Machenschaften im Vatikan existiert.

Karl Jüsten:
Über mögliches Fehlverhalten in Vatikan wird, wenn es
denn zu Tage tritt, recht breit in den Medien berichtet. Das es
dann doch nicht so oft vorkommt kann ja vielleicht auch daran liegen,
dass der Vatikan doch besser ist als in solchen Büchern behauptet
wird.
Aber ich bin mit ihnen der Meinung, wenn durch Vertreter der Kirche
Fehler gemacht werden, dann soll das auch offen gelegt werden und
die Schuldigen müssen auch auf jeden Fall zur Rechenschaft
gezogen werden.
Aber als Kirche können wir ja nicht von den Gläubigen
erwarten, dass sie sich an die Maßstäbe unserer Moral
halten und die Verantwortlichen können sich vor der Moral drücken.
So geht es nicht.

Lehmer:
Was halten Sie von der Darstellung der Papstwahl in dem Roman von
Dan Brown ‘Illuminati ‘ – auch wenn die Verschwörungstheorien
nicht im Sinne der Kirche sein dürften, haben so doch Millionen
Leser etwas über Kirchengeschichte erfahren, oder? Sind Sie
auch für den Boykott des Buches?

Karl Jüsten: Bücher
dieser Art haben den Charme, dass sie immer etwas über den
Vatikan berichten, was zutrifft. Aber wie das bei Romanen so ist,
entspringt auch manches, was darin beschrieben wird, der Phantasie.
Aber ich bin grundsätzlich dagegen, das Bücherlesen zu
verbieten. Wir haben das Recht auch Quatsch zu schreiben.

Moderator:
Nachfrage zum Dialog mit dem Islam:

chilla:
Was ist mit dem Dialog mit Extremisten. Der Papst hat ja in der
Vergangenheit viel Takt und Verständnis gezeigt. Wird das so
bleiben?

Karl Jüsten:
Mit Extremisten jedweder Art tun wir uns schwer einen Dialog zu
führen, weil sie in der Regel nicht dialogfähig sind.
Wenn sie das auf den Islam beziehen, dann muss ich mich schützend
vor die meisten Gläubigen dieser Religion stellen, denn es
gibt nur eine kleine Minderheit, die extremistisch ist.

nicht_katholisch:
Würden sie sich vom neuen Papst auch erhoffen, dass er so ‘gnadenlos
‘ mit Kritikern umgeht wie es Johannes Paul II: das mit dem Theologen
Hans Küng gemacht hat?

Karl Jüsten:
Die Bewertung, ob das gnadenlos war, sei dahin gestellt. Herr Küng
hatte ein ordentliches Lehrverfahren gehabt. Dass er selbst mit
dem Ergebnis nicht zufrieden war, liegt sicher nicht nur am Papst.
Küng hat die Gelegeheit gehabt, seine Position zu erläutern.
Kardinal Lehmann hat immer wieder darauf verwiesen, dass Küng
ein faires Verfahren hatte. Es gibt sicher immer wieder theologische
Fragen, die in der Kirche kontrovers diskutiert werden. Und es kann
immer wieder vorkommen, dass ein Theologe irrt. Da muss ein künftiger
Papst auch das Recht haben, das so zu benennen. Allerdings gebe
ich gerne zu, dass in Stilfragen manches besser sein kann. Und ich
würde mich auch freuen, wenn ein Dialog mit kritischen Theologen
geführt wird.
Denn Wissenschaft besteht auch darin, dass man mal über etwas
Neues denkt ohne das gleich mit Denkverboten zu belegen.

Moderator:
Zur Dritten Welt:

verboomen:
Der Vatikan hat eine doppelte Politik der Dritten Welt gegenüber.
Er ist gegen die Globalisierung, unterstützt aber gleichzeitig
Diktaturen wie Chile oder früher Spanien und sogar Waffenlieferungen.
Halten Sie diese Politik für bibeltreu und klug?

Karl Jüsten:
Solche Politik, die sie da beschreiben, hat der letzte Papst nie
betrieben. Im Gegenteil er ist weltweit für die Menschenrechte
die Demokratie und den Frieden eingetreten und stand immer auf der
Seite der Unterdrückten und Entrechteten.

Moderator:
Kommen wir gegen Ende wieder zu Ablauffragen:

Ichausberlin:
Stichwort Strategie oder Profilierung. Mit welchen Schritten wird
der neue Papst in die Öffentlichkeit treten? Gibt es ein ‘Protokoll’,
das es einzuhalten gilt? An wen, meinen Sie, wird sich der neue
Papst anfänglich in erster Linie wenden?

Karl Jüsten:
Nachdem er gewählt ist, wird er auf dem Petersplatz zur Öffentlichkeit
treten. Dieser Gang wird sicher begleitet durch Gebete. Der neue
Papst kann dort sicher schon einige auch persönliche und politische
oder auch theologische Worte sagen. Aber es wäre eine Überforderung
für ihn, wenn er schon dabei auf eine Art Regierungsprogramm
festgestellt würde. Das braucht dann sicher noch etwas Zeit,
denn er wird ja sicher nicht damit rechnen, wenn er ins Konklave
reingeht, dass er als Papst rausgeht.

krak le chevalier:
Was, wenn der Islam irgendwann die Vormachtstellung in Europa einnimmt?
Gibt es eine christliche Legitimation sich dagegen zu stellen oder
müssen wir tatenlos zusehen, praktisch neutestamentarisch handeln?

Karl Jüsten: Die
Frage, ob das Christentum mehr als Religion bleibt, ist eine Frage
der inneren Kraft der Christen. Wenn wir diese Kraft nicht mehr
aufbringen, was ich bedauern würde, dann wären wir ja
selbst schuld, wenn andere Religionsgemeinschaften oder Ideologien
vordringen.

Dieter Fischer:
Es gibt leider vielerorts die Meinung, dass die päpstliche
Nachfolge schon vor der Wahl feststeht. Diese Meinung hat wohl auch
ihre Ursache in dem undurchdringlichen Zusammenhalt des Vatikans.
Wie überraschend ist dann ein Ergebnis, das eigentlich nicht
wirklich unerwartet kommt. – Sprich, wie hoch (gering) ist die Chance
einen z.B. afrikanischen Papst zu bekommen?

Karl Jüsten: Die
letzten Päpste waren eigentlich immer Überraschungspäpste,
mit Ausnahme vielleicht von Paul den VI. Deshalb ist vielleicht
auch das Konklave für Überraschungen gut. In Italien werden
zur Zeit 60 Kardinale als zukünftige Päpste gehandelt,
darunter auch Afrikaner. Ich persönlich kann mir gut vorstellen,
dass es diesmal ein Nichteuropäer wird. Für den afrikanischen
Kontinent wäre eine solche Wahl sicher ein Signal des Aufbruchs
– und das wäre gut. Denn in Europa und in der westlichen Welt
insgesamt wird der afrikanische Kontinent in der Außenpolitik
viel zu stark vernachlässigt.

thomas.musik:
Welchen Kardinälen räumen Sie mehr Chancen ein, aus ihren
Reihen den Papst zu stellen? Denen der Kurie oder denen der Welt
(also mit Bischofssitz)?

Karl Jüsten:
Die Kurienkardinäle sind vor allem für die "Regierungsgeschäfte"
des Vatikans verantwortlich, die anderen sind Leiter einer Diözese
als Bischöfe. Es muss nicht so sein das ein Kurienkardinal
von vornherein keinen pastoralen Blick hat, wie umgekehrt einem
Ortsbisschoff nicht von vornherein unterstellt werden darf, er könne
die Kurie nicht führen. Es hängt also mehr von der Persönlichkeit
ab, als von der Funktion, ob jemand geeignet ist oder nicht.

Moderator:
In Sachen Papstwahl gibt es immer noch "Ungläubige":

zool667: Waren
die letzten Päpste Überraschungen für das Volk oder
auch eine Überraschung für die katholische Kirche als
Organisation?

Karl Jüsten:
Wenn es eine Überraschung für das Volk ist, dann ist es
auch eine Überraschung für die Organisation. Denn so weit
ist die Organisation doch nicht vom Volk entfernt.

Verboomen: Das
Christentum hat sich nach Süd-Amerika verschoben. Gibt es nicht
die Gefahr, dass das Christentum in Europa und das Christentum in
Süd-Amerika sich von einander sehr trennen, innerhalb des Katholizismus?

Karl Jüsten:
Das ist sicher eine der großen Aufgaben des Papstes, die Kirche
zusammenzuhalten und zu verhindern, dass die Kirche auseinander
driftet. Er hat deshalb den Titel "Pontifex Maximus" –
Brückenbauer. So muss er die Brücke zwischen den Kontinenten
immer wieder schlagen.

Sumo:
Der Vatikan besteht ja nicht nur aus EINEM Menschen. Wie wird sich
die Machtstruktur des Vatikans durch die Einführung eines neuen
Papstes verändern? Ist das so wie in der Politik?

Karl Jüsten:
Da mahlen die Mühlen der Kirche meistens etwas langsamer. Das
hat den Vorteil, dass es zunächst einmal in der Kirche weitergeht.
Aber ich kann mir vorstellen, dass der Papst neue Akzente setzen
möchte und das dann auch tut.

Sammy80:
Wie empfanden Sie die Berichterstattung der Medien über den
sterbenden Papst?

Karl Jüsten:
Die Berichterstattung über den sterbenden Papst war das beherrschende
Thema der letzten Tage. Das was ich mitbekommen habe, fand ich sehr
seriös – wobei die öffentlich-rechtlichen gründlicher
waren als die privaten. Aber bei aller Liebe zur ARD war das ZDF
manchmal noch besser. Was mich allerdings störte, war dass
die Echo-Preisverleihung auf RTL so weiterlief als wäre nichts
gewesen, nur unterbrochen durch kleine Flashs. Da sieht man doch,
wie banal das ist, was manchmal über den Sender läuft.
Hervorragend fand ich die Reaktion von Phoenix. Dieser Sender leistete
sich den Luxus, einfach nur Glocken läuten zu lassen.

Ires diae:
Herr Dr. Jüsten, wie bewerten Sie die Tatsache, dass erst nach
dem Tod des Papstes eine solche Begeisterung für seine Person,
seine Taten und für die Kirche ‘aufflammt ‘?

Karl Jüsten: Es
hängt sicher mit unserer Neigung zusammen, dass wir Menschen,
die uns ans Herz gewachsen sind, im Tod so in Erinnerung bewahren,
wie wir ihn vor allen Dingen mochten. Das ist so bei unseren nächsten
Angehörigen, das erleben wir aber besonders bei herausragenden
Persönlichkeiten. So erinnere ich mich an den Tod von Mutter
Teresa, als die Trauer weltweit auch sehr groß war. Aber der
Papst hat sicher in besonderer Weise die Herzen der Menschen angerührt,
weil der die Menschen an seinem Leben immer hat teilnehmen lassen.
Wenn er froh war, zeigte er seine Freude, wenn er traurig war seine
Trauer, wenn er sich ärgerte zeigte er seine Wut. Und er ließ
uns sogar teilhaben an seinem Sterben. Er tat das ohne Voyeurismus
zu provozieren und darin war er sicher – verglichen mit anderen
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – einzigartig.

Moderator: Unsere
Zeit ist bereits um. Vielen Dank an alle User für das große
Interesse. Etliche Fragen sind leider unbeantwortet geblieben. Vielen
Dank, Prälat Jüsten, dass Sie sich Zeit für den Chat
genommen haben. Das Transkript dieses Chats finden Sie auf den Seiten
der Veranstalter. Den nächsten Chat gibt es am Montag, den
7. April, ab 3.00 Uhr mit SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter.
Am 14. April ist die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth im Chat.
Das tacheles.02-Team wünscht allen noch einen angenehmen Tag!

Karl Jüsten: Auf
Wiedersehen und danke für die interessanten und kritischen
Fragen.