Am Freitag den 06.02.09 war Horst Teltschik, Ex-Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, zu Gast im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de. Er beantwortete Fragen der Chatter zum Afghanistan-Krieg, internationaler Politik und über die Zukunft der NATO.



Moderator: Herzlich Willkommen zum
tagesschau-Chat. Heute startet die 45. Münchner
Sicherheitskonferenz: Es ist das wohl wichtigste Forum zur Außen-
und Sicherheitspolitik: Frankreichs Staatspräsident und
Bundeskanzlerin Merkel sind in München. US-Präsident Obama schickt
eigens seinen Vize an die Isar: Joe Biden will die Tagung nutzen, um
die außenpolitischen Leitlinien der neuen US-Administration zu
skizzieren. Ein Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen steht
bevor. In München ist uns jetzt Horst Teltschik zugeschaltet, er hat
die Sicherheitskonferenz bis 2008 geleitet. Herr Teltschik, wir
freuen uns sehr, dass Sie heute mit uns chatten! Die User von
tagesschau.de und politik-digital.de haben schon Pre-Chat viele
Fragen an Sie gerichtet. Bereit für die erste?

Horst Teltschik: Ich bin bereit!

Puccini: Dass Joe Biden eine Veränderung in der
US-Außenpolitik ankündigen wird, ist für mich relativ
wahrscheinlich. Nur wie könnte die aussehen und was heißt das für
uns Europäer?

Horst Teltschik: Wir wissen im Augenblick nichts
näheres, als dass der Präsident angekündigt hat, dass er zuhören
will und dass er sich mit den Europäern konsultieren will. Es wird
also nicht nur darum gehen, was die amerikanische Außenpolitik an
neuen Schwerpunkten setzen wird, sondern Biden will sicher auch von
den Europäern hören, welche Schwerpunkte wir haben.

Moderator: Obamas Rede an der Berliner
Siegessäule im Juli letzten Jahres, nun der wichtige Auftritt von
Biden auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Zufall oder zeichnen
sich da besondere Beziehungen zwischen Washington und Berlin ab?

Horst Teltschik: Nein, denn die amerikanische
Delegation war in jedem Jahr die stärkste auf der Münchner
Sicherheitskonferenz. Es waren immer mehrere Senatoren da und
Minister aus den USA. Es ist zum ersten Mal der Vize-Präsident da,
der aber früher schon als Senator an der Konferenz teilgenommen hat.
Es wird auch der neue Sicherheitsberater da sein, der auch in den
letzten acht Jahren in München auf der Konferenz war. Aber diese
starke Repräsentanz der Amerikaner zeigt, dass sie hier jetzt
hoffentlich stärker auf die Europäer zugehen wollen. Und wir können
nur hoffen, dass inhaltlich sich eine neue und stärkere
Zusammenarbeit abzeichnen wird. Das gilt nicht nur für Afghanistan,
für uns wichtiger wären die Beziehungen zu Russland und die
Beziehungen zum Iran.

Thaisen: Warum stockt Deutschland seine Truppen
in Afghanistan nicht deutlich auf, um somit kurz-/mittelfristig eine
noch bedeutendere (Sicherheits-)Präsenz zu schaffen?

Horst Teltschik: Das ist eine Frage, die sicher
zwischen der neuen amerikanischen Regierung und den Europäern
diskutiert werden wird. Die USA haben eine Verstärkung ihrer
militärischen Kräfte angekündigt. Ob darüber hinaus mehr getan
werden muss, darüber wird jetzt gesprochen werden. Wir müssen
leider feststellen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan
deutlich verschlechtert hat. Aber das kann nicht nur mit neuen
militärischen Kräften beantwortet werden, sondern was gerade auch
die Bundesregierung angesprochen hat, ist, dass wir mehr Ausbilder
für die afghanische Polizei benötigen und dazu beitragen müssen,
dass die afghanische Armee aufgebaut wird, um selbst für die
Sicherheit im Land sorgen zu können.

Moderator: Glauben Sie, dass Joe Biden an diesem
Wochenende von Deutschland ein stärkeres Engagement in Afghanistan
einfordern wird?

Horst Teltschik: Das werden wir sehen. Das kann
ich nicht beantworten. Es wird ja intensiv über Afghanistan
gesprochen werden. Präsident Karzai wird auf der Konferenz sein.
Seine Regierung steht unter starker Kritik. Sie gilt als korrupt und
als wenig effizient beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung für
das ganze Land. Das heißt, bevor wir über stärkere Engagements in
Afghanistan, von welcher Seite auch immer sprechen: Vorrangig ist,
dass die afghanische Regierung selbst Korruption abbaut und eine
funktionierende Verwaltung aufbaut. Und das gilt nicht nur für die
Hauptstadt. Das gilt vor allem für die Provinzen, wo sie praktisch
heute kaum Einfluss hat.

JONES: Wäre es nicht intelligenter, Lehrer und
Ärzte nach Afghanistan zu schicken anstatt Waffen und Soldaten? Auch
damit könnten wir Geld verdienen!

Horst Teltschik: Damit kann man kein Geld
verdienen, sondern das würde uns Geld kosten, denn sowohl die
Europäer wie die Amerikaner müssten die Entsendung von Ärzten und
Lehrern finanzieren. Aber wir werden nur Ärzte und Lehrer gewinnen
können nach Afghanistan zu gehen, wenn sie wissen dass sie sicher
sind. Und die Sicherheit können nur Soldaten und Polizisten regeln.
Und deshalb brauchen wir beides. Wir brauchen militärische Kräfte
für die Sicherheit und wir brauchen zivile Kräfte wie Ärzte,
Lehrer und andere Fachkräfte, um eine Entwicklung Afghanistans zu
sichern und damit die Stabilität zu garantieren.

erk: Hat die Bundeswehr in sicherheitspolitischen
Fragen eigentlich irgendein Mitspracherecht?

Horst Teltschik: In Afghanistan ist die NATO als
Bündnis verantwortlich. Wir sind ein gleichberechtigtes Mitglied in
der NATO und haben von daher ein Mitspracherecht wie alle anderen
Mitgliedsstaaten.

iggy: Welche Rolle hat die NATO Ihrer Meinung
nach in der heutigen Weltordnung noch?

Horst Teltschik: Das ist eine außerordentlich
wichtige Frage, die auf der Konferenz diskutiert werden wird. Im
Vorfeld der Konferenz haben Präsident Sarkozy und Bundeskanzlerin
Merkel einen Beitrag in der "Süddeutschen Zeitung"
veröffentlicht, in dem sie mit Recht darauf hinweisen, dass die
NATO-Strategie weiterentwickelt werden muss, weil sie nicht nur für
die Mitgliedsstaaten verantwortlich ist, sondern heute weltweit
Einsätze durchführt: wie beispielsweise auf dem Balkan und in
Afghanistan. Die Frage muss diskutiert werden: Wie sieht zukünftig
die Verantwortung der NATO aus? Übernehmen wir weltweite
Verantwortung? Und wie werden wir zukünftig unserer Verantwortung
gerecht? Nicht nur mit militärischen, sondern auch mit zivilen
Mitteln. Was heißt das für die zukünftige Strategie der NATO und
für die zukünftige Ausrüstung der NATO? Es zeichnet sich auch ab,
dass die Europäische Union eine eigenständige sicherheitspolitische
Verantwortung übernimmt. Beispiel Georgien-Konflikt: Der
Waffenstillstand wurde von dem EU-Präsidenten Sarkozy verhandelt und
durchgesetzt, ohne dass die USA und die NATO einbezogen war. Wir
müssen also auch klären, wie zukünftig die Zusammenarbeit zwischen
NATO und der Europäischen Union in sicherheitspolitischen Fragen
aussehen soll.

URS: Ist auch eine Auflösung der NATO denkbar?

Horst Teltschik: Nein. Die NATO ist das
erfolgreichste sicherheitspolitische Bündnis der Geschichte. Es ist
für uns Europäer die vertragliche Garantie der Zusammenarbeit mit
den USA. Die Frage geht nicht um eine Auflösung, sondern um die
Weiterentwicklung der NATO und die Frage der Zusammenarbeit mit der
Europäischen Union und vor allem mit Russland im Rahmen der OSZE.

peter Schafranek: Wie können der Westen und
Russland das notwendige vertrauensvolle Verhältnis zueinander wieder
aufbauen, ohne dass der Westen die russische Forderung nach
Einflusszonen und auch die territorialen Ergebnisse des
Georgien-Krieges akzeptiert?

Horst Teltschik: Präsident Medwedew hat im Juli
letzten Jahres den Vorschlag einer gesamteuropäischen
Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok vorgebracht. Das
knüpft an die Pariser Charta für ein neues Europa vom November 1990
an. Die Charta hatte das Ziel eine gesamte europäische Friedens- und
Sicherheitsordnung zu errichten, also das sogenannte "gemeinsame
europäische Haus" von dem Präsident Gorbatschow immer
gesprochen hat. Ziel einer solchen europäischen Sicherheitsordnung
ist es, die Sicherheit aller Staaten einschließlich Russlands zu
garantieren. Die Russen haben ausdrücklich erklärt, dass dieser
Vorschlag nicht gegen die NATO oder die europäische Union gerichtet
sei, auch nicht gegen die OSZE, sondern dass eine Form gefunden
werden müsse, die alle diese Organisationen einbinde und die
Sicherheit aller Beteiligten gleichwertig berücksichtige. Die
Tatsache, dass Medwedew von Vancouver bis Wladiwostok gesprochen hat,
ist auch die Aussage, dass die USA und Kanada voll einbezogen werden
sollen. Das ist ein wichtiger Vorschlag, den man weiterverfolgen
sollte. Präsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel haben diesen
Vorschlag positiv bewertet. Es wird jetzt darauf ankommen, dass die
neue amerikanische Regierung dieses Projekt unterstützt und dass die
Europäer gemeinsam mit den Amerikanern einen Vorschlag erarbeiten
und vor allem mit Russland ein gemeinsames Ergebnis anstreben. Im
Rahmen eines solchen Gesamtkonzeptes werden Konflikte wie im Falle
Georgiens oder Transnistriens oder Nagorni-Karabach gelöst werden
können.

peter Schafranek: Wie kann man endlich Russland
die eingebildete und tief sitzende Angst vor westlicher Einkreisung
und vor einer aggressiven NATO nehmen – durch einen substantiellen
Kooperationsvertrag oder besser gleich durch eine
NATO-Mitgliedschaft?

Horst Teltschik: Präsident Clinton hatte dem
russischen Präsidenten Jelzin einmal in einem Brief und auch
mündlich vorgeschlagen, dass Russland Mitglied der NATO werden
könne. Jelzin habe damals geantwortet, dieser Vorschlag käme für
Russland zu früh. Dieser Vorschlag einer NATO-Mitgliedschaft wäre
eine Alternative zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung.
Aber unverständlicherweise ist die NATO für die Mehrheit der Russen
immer noch ein Gegner und wird als Feindbild gesehen. Das kann man
nur abbauen, wenn man Russland seine eigene Sicherheitslage vor Augen
führt. Im Osten hat es Russland mit der Volksrepublik China zu tun,
im Süden mit islamischen Staaten, im Westen mit den Europäern. Wenn
man sich dieses Bild vor Augen führt, dann kann es für Russland
eigentlich nur eine Antwort geben: Nämlich die Zusammenarbeit mit
den demokratischen Europäern, von denen die geringste Gefahr
ausgeht.

peter Schafranek: Sehen Sie die Chance, einen
gemeinsamen Raketenabwehrschirm für USA, Europa und Russland gegen
absehbare Bedrohungen aus Süd und Ost gemeinsam, d. h. mit Russland
zu bauen?

Horst Teltschik: Wenn man einen
Raketenabwehrschirm errichten will, dann sollte man alles tun, um
Russland gleichberechtigt und uneingeschränkt einzubeziehen und
einen Schirm zu errichten, der alle Europäer in West und Ost
schützen sollte. Ob dieser Raketenabwehrschirm heute schon
erforderlich ist, ist aus meiner Sicht abschließend noch nicht zu
beantworten weil er in erster Linie gegen den Iran gerichtet wäre.
Aber die Verhandlungen mit dem Iran sind noch nicht abgeschlossen. Es
gibt immer noch die Hoffnung, Iran daran zu hindern, Nuklearwaffen zu
entwickeln. Außerdem gibt es die Alternative der nuklearen
Abrüstung, auf der Münchner Konferenz wird mit Sicherheit darüber
gesprochen werden, dass die USA und Russland Verhandlungen aufnehmen
sollen zu drastischen Reduzierungen ihrer Nuklearsysteme. Denn sie
verfügen über 95 Prozent des Kernwaffenpotenzials. Und Ziel sollte
es sein mittelfristig alle Nuklearwaffen weltweit abzubauen. Das
könnte dazu führen, dass andere Staaten, einschließlich der Iran,
auf den Aufbau der Nuklearwaffen verzichten. Dann bräuchte man auch
keinen Raketenabwehrschirm.

Moderator: Rechnen Sie am Wochenende mit
konkreten Initiativen zu Rüstungskontrolle und Abrüstung?

Horst Teltschik: Unser Außenminister Steinmeier
hat bereits angekündigt, dass er in seiner Rede Vorschläge
einbringen will. Und ich hoffe, dass darüber diskutiert wird.
Präsident Obama hat angekündigt, dass für ihn Abrüstung ein
wichtiges Thema sei, so dass eine gute Chance besteht, dass wir nach
20 Jahren Pause wieder neue Abrüstungs- und Kontrollverhandlungen
bekommen. Das ist deshalb wichtig, weil der Vertrag über die
Reduzierung von strategischen Nuklearwaffen zwischen USA und Russland
im nächsten Jahr ablaufen wird und dringend neu verhandelt werden
muss. Das gleiche gilt auch für den Vertrag über die Begrenzung der
konventionellen Streitkräfte in Europa, ein Vertrag den Russland
ratifiziert hatte aber nicht die NATO und den Russland jetzt
seinerseits aufgekündigt hatte. Es besteht die dringliche
Notwendigkeit, über diesen Vertrag neu zu verhandeln.

Emmanuel: Wie hoch sehen Sie die Chancen, dass
die USA und Russland sich auf mehr Abrüstung einigen können?

Horst Teltschik: Ich bin sehr optimistisch, weil
Präsident Obama schon in den ersten Tagen seiner neuen Regierung
zeigt, dass er seine Ankündigungen im Wahlkampf auch gewillt ist
einzuhalten. Außerdem führt die Finanzkrise weltweit dazu, dass die
Regierungen immer weniger Geld zur Verfügung haben und Rüstungen
sind extrem teuer. Und ich hoffe, dass die Tatsache, dass alle
Regierungen jetzt sparen müssen, die Bereitschaft erhöht, Rüstungen
zu reduzieren.

Thaisen: Kann "Sicherheitspolitik" in
Zeiten der (untereinander konkurrierenden) Global-Players (zum
Beispiel China, Indien) überhaupt einen gemeinsamen Nenner finden?

Horst Teltschik: Gerade die Globalisierung zeigt,
wie sehr alle Staaten dieser Welt immer stärker voneinander abhängig
werden. Das gilt vor allem auch für die Fragen der Sicherheit. Es
geht bei der Sicherheit heute nicht nur um traditionelle Kriege
zwischen Staaten, die leider auch immer noch stattfinden, sondern es
geht um eine Vielzahl neuer Gefährdungen, die weltweit alle Staaten
treffen können, angefangen vom Terrorismus über das Gefälle
zwischen reich und arm, Klimawandel, Seuchen, internationale
Kriminalität, Drogenhandel und so weiter. Das heißt, kein Land
dieser Erde kann seine Sicherheitsprobleme heute alleine lösen,
sondern muss die internationale Zusammenarbeit suchen. Und deshalb
ist die Chance größer denn je, dass die weltweite Zusammenarbeit in
Fragen der Sicherheit sich eher verstärken wird.

wiggam: Herr Teltschik, kann die Gefährdung
durch Terrorismus jemals so groß werden wie die im kalten Krieg?

Horst Teltschik: Die Gefährdung im kalten Krieg
kann nicht mit den Gefährdungen von heute gleichgesetzt oder
verglichen werden. Der kalte Krieg – und das haben wir in und um
Berlin erlebt – hat uns bekanntlich an die Grenze eines dritten
Weltkrieges geführt. Wenn ich an die Kuba-Krise von 1961 erinnere,
einen solchen globalen Krieg halte ich für heute nicht mehr möglich.
Aber der Terrorismus zeigt wie am Beispiel des Terroranschlages vom
11. September 2001 in New York und Washington, dass er völlig neue
Formen und Gefährdungen annimmt, die jeden Tag einen anderen Staat
treffen kann.Ausgangspunkt des Terrorismus können verschiedene
Länder sein. Terrorismus ist schwer zu lokalisieren. Deshalb
brauchen wir hier dringend die internationale Zusammenarbeit. Und die
große Gefahr, die heute Sicherheitsexperten weltweit sehen, ist,
dass Terroristen Zugang zu biologischen, chemischen und atomaren
Waffen suchen und einsetzen könnten. Das heißt, die Gefahr heute
ist viel diffuser, unberechenbarer und damit schwieriger zu begegnen.

Eene_Wolke: Herr Teltschik, was beschreibt Ihrer
Meinung nach die derzeitigen Konfliktherde treffender: Kampf der
Kulturen oder Kampf zwischen arm und reich?

Horst Teltschik: Der Kampf zwischen Kulturen
findet aus meiner Sicht nicht statt. Im Gegenteil, die Globalisierung
führt dazu, dass sich in immer stärkerem Maße die verschiedenen
Kulturen begegnen, der Austausch sich verstärkt und dass Menschen
aus allen Kulturen sich immer häufiger begegnen und lernen zusammen
zu leben. Den Kampf, den wir heute erleben, beruht weitgehend auf
einem religiösem Fundamentalismus der innerhalb der jeweiligen
Kultur überwunden werden muss. Der Dialog zwischen Kultur kann dazu
beitragen, aber die Entwicklung in den islamischen Staaten zeigt,
dass ein solcher Fundamentalismus seine Ursache häufig darin hat,
dass diese Kulturen mit modernen Zivilisationen konfrontiert werden –
vor allem durch die Informations- und Kommunikationstechnologie, mit
westlichen Medien – und damit fertig werden müssen und sich oft
damit sehr schwer tun. Besonders schwierig ist die wachsende Kluft
zwischen armen und reichen Ländern. Hier ist es dringend
erforderlich, dass die Bürger in den reichen Ländern, vor allem
auch in Deutschland – wir sind das dritt reichste Land der Welt –
bereit sind, wieder zu lernen zu teilen und mit dem eigenen Reichtum
mehr für die armen Länder dieser Welt zu tun. Die Frage richtet
sich also an uns selbst, in welchem Maße wir bereit sind, mehr
Mittel für arme Länder zur Verfügung zu stellen, vorausgesetzt,
dass diese Mittel dort auf Regierungen treffen, die nicht korrupt
sind und die bereit sind, eine effiziente und erfolgreiche Politik
für ihre Völker durchzusetzen.

Geeses: Glauben Sie, dass es jemals ein
konfliktfreies, friedliches Miteinander aller Menschen geben wird?
Oder endet das Ganze hier irgendwann mit dem Big Bang?

Horst Teltschik: Es wird kein Paradies auf Erden
geben. Es streiten sich ja nicht nur Völker, sondern es streiten
sich ja täglich Menschen untereinander. Wir erleben täglich
Gewaltanwendung bei uns selbst. Von daher glaube ich nicht an eine
gewaltfreie Welt. Es heißt zwar immer, wir sollen aus der Geschichte
lernen. Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen das leider nicht tun.
Oder nur sehr selten. Das erlebt man bereits bei den eigenen Kindern,
die oft erst ihre eigenen Erfahrungen machen müssen, um zu lernen
was gefährlich ist und was nicht. Einen Big Bang wird es Gott sei
Dank nicht geben. Heute sind wir weltweit so vernetzt und so
voneinander abhängig, dass jeder wissen muss, dass ein Big Bang
nicht nur der Untergang anderer Völker bedeuten würde, sondern auch
den Untergang des eigenen Volkes.

Thomas: Herr Teltschik, durch die sog.
Friedenstruppen sind mehr Menschen getötet worden als durch die
Taliban, Saddam Hussein und Al-Quaida zusammen. Ist es da nicht
zynisch, von Sicherheitspolitik zu sprechen? Und wer schützt normale
Menschen vor den Militaristen?

Horst Teltschik: Das ist eine sehr gewagte
Aussage. Wenn die Taliban und Saddam Hussein und die Al-Quaida nicht
über Sicherheitstruppen weitgehend ausgeschaltet worden wären,
müssten wir wahrscheinlich mit wesentlich mehr Opfern rechnen.
Beispiel: Acht Jahre lang hat Saddam Hussein Krieg gegen den Iran
geführt, der Hunderttausende von Menschen das Leben gekostet hat.
Saddam Hussein hat Giftgas gegen die Kurden eingesetzt, das tausende
von Kurden – von Kindern bis alte Menschen – das Leben gekostet hat.
Die Taliban haben viele Menschen umgebracht, haben Frauen auf den
Straßen verprügelt, haben ihnen den Zugang zu Schulen verwehrt und
Terror nach innen und außen ausgeübt. Das ist alles
erfreulicherweise beendet worden. Die einzige Frage, die man
diskutieren müsste, ob es Alternativen gegeben hätte zu einem
militärischem Einsatz. Angesichts der hohen Kosten militärischer
Einsätze halte ich diese Frage für berechtigt. Wenn man bedenkt,
dass der amerikanische Krieg im Irak rund eine Billion Dollar bisher
gekostet hat, wäre die Frage aus meiner Sicht fair zu diskutieren,
ob man mit diesen Mittel nicht auf andere Weise eine Befriedung des
mittleren Osten hätte durchsetzen können. Erfahrungsgemäß sind
aber Regierungen und Wähler nicht bereit, solche Riesensummen in
Friedenszeiten einzusetzen.

Relfa: Wie nehmen sie die Proteste gegen die
Sicherheitskonferenz wahr und wie gehen die Teilnehmer damit um?

Horst Teltschik: Solange solche Proteste
friedlich verlaufen, gibt es für keine Seite Probleme, weder für
den Veranstalter, noch für die Polizei, noch für die Bürger. Das
Problem besteht nur darin, dass jedes Jahr eine Gruppe von rund 500
gewaltbereiten sich unter die friedlichen Demonstranten mischt, mit
dem Ziel, Gewalt und Zerstörung einzusetzen. Und das löst natürlich
bei Bürgern mit Recht Sorge und Befürchtungen aus. Aus meiner Sicht
müssten die Veranstalter von Demonstrationen in einem stärkeren
Maße dafür sorgen, dass die gewaltbereiten Autonomen keine Chance
zum Einsatz erhalten. Mein Problem mit den Organisatoren der
Demonstrationen besteht darin, dass sie die Konferenz Jahr für Jahr
verteufeln und ihr Absichten unterstellen, die nicht der Wahrheit
entsprechen. Die Konferenz ist völlig öffentlich und wird live im
Fernsehen übertragen, so dass jeder Bürger feststellen kann, was
auf der Konferenz von wem diskutiert wird. Aber ich selbst habe mit
Demonstranten diskutiert, die mir gesagt haben, dass sie die
Konferenz nicht interessiere. Sie nehmen sie nur zum Anlass, um ihre
eigenen Interessen zu verfolgen. Damit ist ein Dialog sehr schwierig.

Moderator: Erstmals wird auch Vertreter der
Konferenz-Gegner an der Tagung teilnehmen. Was halten Sie von dieser
Neuerung Ihres Nachfolgers Ischinger?

Horst Teltschik: Sie werden verstehen, dass ich
mich zu Entscheidungen meines Nachfolgers nicht äußere. Ich selbst
darf darauf hinweisen, dass ich zum Beispiel im letzten Jahr den
Vorsitzenden von Human-Rights-Watch, Mr. Roth, zur Konferenz
eingeladen habe. Er konnte seine Ideen auf einem Panel ausführlich
vortragen. Es ging ihm dabei um ein weltweites Verbot der sogenannten
Streuwaffen. Das Ergebnis seines Auftritts war, dass 99 Staaten im
letzten Jahr in Oslo beschlossen haben Streuwaffen zu verbieten. Ein
Auftritt einer solchen NGO macht Sinn, weil es zu Ergebnissen führen
kann und weil alle Seiten miteinander seriös über solche Themen
diskutiert haben.

Moderator: Die Zeit ist leider schon vorbei: Das
war der tagesschau-Chat für heute. Vielen Dank, liebe User, für
Ihre Fragen. Das Chatprotokoll finden Sie in Kürze zum Nachlesen auf
tagesschau.de und politik-digital.de. Herzlichen Dank, Herr
Teltschik, für Ihre Zeit. Das Team von tagesschau.de wünscht allen
noch einen schönen Tag.

Horst Teltschik: Vielen Dank und alles Gute!