Am Freitag, 11.4.08, war Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter, von 13.30 bis 14.30 Uhr zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er sprach über die Ergebnisse der Stammzelldebatte im Bundestag, seine Enttäuschung über die beschlossene Stichtagsverschiebung und die umstrittene Frage der Menschenwürde von Embryonen.

 

Moderatorin: Ich begrüße ganz herzlich Hubert Hüppe. Können wir loslegen?

Hubert Hüppe: Ja, sehr gerne!

Hubert Hüppe (CDU)

Moderatorin: Der
Bundestag hat abgestimmt. Sind Sie jetzt sehr enttäuscht oder
haben Sie mit dem Ergebnis schon gerechnet und sich darauf
eingestellt?

Hubert Hüppe:
Ich habe zwar damit gerechnet, aber trotzdem bin ich natürlich
über das Endergebnis sehr enttäuscht, denn tatsächlich
ist das eingetreten, was wir schon 2002 befürchtet haben: Die
Menschenwürde wird in der Forschung weiter relativiert und die
Tür zur tötenden Embryonenforschung ist wieder ein Stück
weiter aufgemacht worden. Auf der anderen Seite – auch wenn es kein
richtiger Trost ist – war ich doch über die Zustimmung unseres
Antrages erfreut, weil wir mehr als doppelt so viel Stimmen bekommen
haben wie wir an Unterstützungsunterschriften vorher hatten. Und
letztendlich hatte der Antrag der Kollegin Flach auf Abschaffung des
Stichtages mehr Gegenstimmen als unser Antrag.

chariti theou: Herr Hüppe, der Stichtag
wurde nun zum ersten Mal verschoben. Ich könnte mir vorstellen,
dass in fünf bis zehn Jahren die gleiche Debatte wieder ansteht.
Was wird dann passieren?

Hubert Hüppe: In der Tat habe ich diese
Befürchtung auch. Denn wer einmal verschiebt, dem glaubt man
nicht. Und in der Tat ist ja das eingetreten, was wir 2002 schon
befürchtet hatten: Dass bald – wie diese Debatte heute gezeigt
hat – weitere Stammzelllinien von neu getöteten Embryonen
eingefordert werden. Deswegen wird der Hunger nach neuen Zellen
wahrscheinlich nur zeitweise gestillt sein. Aber es wird – wenn die
Forschung weiterhin so erfolglos bleibt wie jetzt und in den letzten
zehn Jahren – schwerfallen, abermals mit der Heilung von
Krankheiten zu argumentieren.

Moderatorin: Kurze Konkretisierung für alle,
die sich gerade zuschalten und noch keine Zeit hatten, die neuesten
Nachrichten zu verfolgen:

Eike:
Guten Tag Herr Hüppe, wie haben Sie heute im Bundestag
abgestimmt?

Hubert
Hüppe
: Ich habe natürlich für meinen Antrag
gestimmt, den ich den Kolleginnen und Kollegen gestellt habe. Der
besagt, dass wir die embryonale Stammzellforschung nicht brauchen und
deswegen die Einfuhr von embryonalen Stammzellen, für die
Embryonen getötet worden sind, verboten hätten. Ansonsten
habe ich den Antrag auf völlige Freigabe von Frau Flach, MdB,
abgelehnt. Gleiches gilt für den Antrag Röspel und anderer,
der eine Verschiebung des Stichtages vorgesehen hat und der jetzt
eine Mehrheit im Bundestag gefunden hat. Wäre noch der Antrag
von Frau Hinz abgestimmt worden, der zumindestens keine Erweiterung
der Einfuhr von embryonalen Stammzellen vorgesehen hat, hätte
ich dort mit Ja gestimmt.

Blastozyste: Wie bewerten Sie die
Stichtagsverschiebung?

Hubert Hüppe: Die Stichtagsverschiebung ist
für mich die sogenannte ethische Wanderdüne. Sie ist
inkonsequent und unbegründet und es ist für mich
unverständlich, dass auch der ein oder andere jetzt dafür
gestimmt hat, der noch vor sechs Jahren gegen jeglichen Import
gestimmt hat, denn heute gibt es viel mehr Argumente gegen die
embryonale Stammzellenforschung als 2002, wo man noch große
Hoffnungen hegte. Inzwischen gibt es auch viel mehr Fortschritte in
der sogenannten adulten Stammzellenforschung. Und es gibt viel mehr
Alternativen, wie zum Beispiel "Nabelblutstammzellen", die
nicht nur ethisch unproblematisch gewonnen werden können sondern
darüber hinaus auch heute schon Menschen retten, die krank sind.

onmis: Aber zwingt die Entscheidung des
Bundestages Forscher nicht, ins Ausland zu gehen? Gute Forschung ist
nur mit ,,frischen" Embryonen möglich.

Hubert Hüppe: Nein, niemand wird gezwungen,
ins Ausland zu gehen. Aber das ist auch nicht die entscheidende
Frage. Denn wenn wir alles zulassen wollten, was Forscher im Ausland
machen, dann müssten wir hier auch zulassen, dass Embryonen
geklont werden oder dass wir sogar Mischwesen aus Mensch und Kuh
schaffen, wie das im letzten Monat in Großbritannien passiert
ist. Die Menschenwürde ist auch dann unantastbar, wenn sie im
Ausland angetastet wird. Übrigens sind die neuesten Ergebnisse
nicht mit den neuesten Zellen entwickelt worden, sondern im Vergleich
mit den ersten embryonalen Stammzellen, die überhaupt produziert
worden sind und auch nach Deutschland importierbar sind. Wenn diese
Zellen nichts brächten, dann muss man sich fragen, warum allein
in diesem Jahr noch fünf Importgenehmigungen von sogenannten
alten embryonalen Stammzellen erteilt worden sind.

Christian Heinemann: Inwiefern wird Ihrer Ansicht
nach die Menschenwürde bei der Verwendung menschlicher
Stammzellen verletzt?

Hubert Hüppe: Für embryonale
Stammzellen muss man Embryonen töten, die durch künstliche
Befruchtung entstanden sind. Zum Teil muss man Embryonen, die man auf
Vorrat eingefroren hat, wieder auftauen und sie sich noch ein paar
Tage weiterentwickeln lassen, bis sie so groß sind, dass man
ihnen Stammzellen entnehmen kann. Wenn aber – wie meine Auffassung
ist – der Embryo auch schon Mensch ist und ich ihn töte, dann
würde ich ja dem Objekt der Menschenwürde die Existenz
entziehen und das ist vielleicht der schlimmste Verstoß gegen
die Menschenwürde. Bei adulten Stammzellen dagegen entnehme ich
einem bereits geborenen Mensch Zellen aus dem eigenen Körper.
Hierfür muss kein Mensch getötet werden. Es gibt zahlreiche
Therapien, und heute gibt es schon Tausende von Menschen, die dieser
Anwendung der adulten Stammzellen ihr Leben verdanken. Darüber
hinaus gibt es auch Stammzellen im Nabelschnurblut, die therapeutisch
sehr vielversprechend sind und mit denen man auch heute vor allem
Kindern das Leben retten könnte. Deswegen setze ich mich zum
Beispiel dafür ein, dass das Geld nicht für die erfolglose
embryonale Stammzellenforschung ausgegeben wird, sondern dass man zum
Beispiel eine bundesweit zugängliche öffentliche
Stammzellbank aus Nabelschnurblut schaffen würde, zu der jeder
Patient Zugriff hätte.

Moderatorin: Die folgende Frage wurde von den
Lesern vorab zur wichtigsten Frage gewählt:

PaulWest: Warum sind acht Stammzellen für
Sie schon ein Embryo und damit Mensch?

Hubert Hüppe: Für mich sind es zunächst
einmal keine acht Stammzellen, sondern hier handelt es sich um ein
Embryo der schon viel älter ist. Denn man "gewinnt"
aus einem Embryo 100-200 Stammzellen. Aber für mich gibt es
keine andere logische Grenze als die Verschmelzung von Ei und
Samenzelle, bei dem individuelles Leben entstanden ist. Bei dem
feststeht, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, ob man rote,
schwarze oder blonde Haare hat und vieles mehr. Und man entwickelt
sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch. Und wenn ich heute
frage, ob ich ihn nicht mit acht Tagen freigeben darf, wird der
nächste vielleicht fragen, warum nicht nach fünfzehn Tagen,
nach drei Monaten oder vielleicht noch später. Im Übrigen
war das ja offensichtlich auch mal die Meinung des Deutschen
Bundestages, der Anfang der 90er Jahre mit ganz ganz großer
Mehrheit das Embryonenschutzgesetz in Deutschland beschlossen hat,
denn wenn es kein Mensch wäre sondern nur Reproduktionsabfall,
dann stellt sich in der Tat die Frage: Warum brauchen wir überhaupt
irgendwelche Einschränkungen?

Moderatorin: Hier treffen eine ganze Reihe von
Fragen zur Religion ein, es folgt eine Auswahl:

Ihr Benutzername: Hallo Herr Hüppe. Sollten
Ihrer Meinung nach religiöse Argumente in der Diskussion
berücksichtigt werden? Wenn ja, warum?

Hubert Hüppe: Religion gehört zu
unserer Gesellschaft und selbst in der Präambel unseres
Grundgesetzes wird auf Gott Bezug genommen. Von daher gehört es
natürlich auch in diese Debatte: Allerdings muss man nicht
katholisch oder evangelisch sein, um gegen die embryonale
Stammzellenforschung zu sein. Zum Beispiel hat heute auch Volker Beck
von den Grünen für unseren Antrag gesprochen, der nicht
gerade als religiöser Fundamentalist verschrien ist und Frau
Knoche (Linkspartei) hat heute als Frauenpolitikerin gegen die
embryonale Stammzellenforschung gesprochen. Der deutsche Frauenrat
hat sich sogar einstimmig gegen eine Stichtagsverschiebung
ausgesprochen.

Moderatorin: Aber dort wurde nicht religiös
argumentiert!

Hubert Hüppe: Nein, es wurde frauenpolitisch
argumentiert, weil man Angst hat, dass zukünftig Frauen als
Eizelllieferanten missbraucht werden, wie es ja zum Teil im Ausland
schon passiert. Auch ich habe nicht religiös argumentiert
sondern aus Sicht der Menschenrechte, obwohl ich eine religiöse
Überzeugung habe.

Moderatorin: Bleiben wir noch kurz beim Kapitel
Religion – das ist wie gesagt ein Anliegen vieler User im Chat.

Herbert:
Ist es erlaubt in einer rationalen Debatte religiös zu
argumentieren?

Hubert
Hüppe
: Ich glaube, dass es natürlich erlaubt ist,
religiös zu argumentieren, weil es zu unserer Gesellschaft
gehört und das Gewissen und die Verantwortung des Einzelnen
natürlich mitprägt, wobei heute in der Debatte religiöse
Argumente eher seltener der Fall waren und komischerweise auch
häufiger von denen angeführt worden sind, die eher für
die Erweiterung der embryonalen Stammzellforschung sind.

harry hirsch: Kann man rational überhaupt
mit religiös verbinden?

Hubert Hüppe: Ja, aber das spielt bei dieser
Debatte keine entscheidende Rolle, weil – wie gesagt – die Debatte
gar nicht religiös geführt wurde. Es ist rational, wenn man
beweisen kann, dass die embryonale Stammzellforschung für die
Heilung des Menschen nichts beigetragen hat, dass es weltweit nach
zehn Jahren noch nicht mal irgendeine klinische Studie gibt. Und wenn
man trotzdem so viel Zeit für diesen kleinen Forschungsbereich
investiert – und auch so viel Geld – dann glaube ich, ist das
wesentlich irrationaler als mein Standpunkt.

Wunderlich: Sie argumentieren den Beginn
menschlichen Lebens anhand seines Potentials herbei. Immerhin nisten
sich bei einer natürlichen Befruchtung 70% der befruchteten
Eizellen gar nicht erst ein und werden vom Körper ausgestoßen.
Verstößt die Natur (Gott?) da nicht auch gegen Ihre
Auffassung von Embryonenschutz?

Hubert Hüppe: Entscheidend ist nicht, wie
viele Embryonen überleben und wie viele sterben. Der menschliche
Akt des Tötens widerspricht der Menschenwürde. Wäre es
so, dass die Überlebensrate entscheidend für die
Menschenwürde des Einzelnen wäre, dann wäre ja die
Menschenwürde von Neugeborenen in Entwicklungsländern
geringer einzustufen als bei uns, weil dort die Kindersterblichkeit
nach der Geburt wesentlich höher ist als hier. Somit kann man
aus meiner Sicht dieses Argument nicht gelten lassen.

Moderatorin: Zum christlichen "C" der
CDU zwei User-Fragen, die ich direkt hintereinander stelle, bitte
beide gleich beantworten, lieber Herr Hüppe!

CG: Können Sie als CDU-Politiker denn
überhaupt noch guten Gewissens in der CDU bleiben?

rabenstefan: Herr Hüppe, sehen Sie ihre
Verantwortung gegenüber dem Leben eines Embryonen auch in dem
"C" ihrer Partei begründet – die
Kirche streitet ja ebenfalls lautstark gegen die
Stammzellenforschung. Wenn ja, was sagen Sie zu Parteikollegen mit
einer weniger christlichen Meinung?

Hubert Hüppe: Ich bin noch in der CDU, weil
ich hoffe, dass ich für meinen Standpunkt dort weiterhin werben
kann. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich enttäuscht bin,
dass hier die Union nicht geschlossener ist, denn auf dem
Bundesparteitag der Union hatte noch eine große Mehrheit
beschlossen, dass der Mensch schon mit Verschmelzung von Ei und
Samenzelle entstanden ist und von daher zu schützen ist. Wenn
man aber sagt, dass menschliches Leben entstanden ist und trotzdem
dazu kommt, dass man es für die Forschung nutzen darf, dann ist
dies schon sehr schwierig noch mit dem C zu verbinden. Aber in meiner
Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der CDU hat die Mehrheit der
Abgeordneten gegen eine Verschiebung des Stichtags gestimmt und das
macht mir Hoffnung.

Embryonenmensch: Sehr geehrter Herr Hüppe,
zuerst: Danke für ihr Engagement in der Debatte! Auch wenn
kritische BioethikerInnen diese Abstimmung sicher als schwarzen Tag
für die Menschenwürde und als Sieg der Forschungsfreiheit
sehen werden. Laut eben vorliegenden Ergebnissen auf der
Bundestagswebseite haben bei der CDU/CSU-Fraktion 102 Abgeordnete mit
"Ja" für eine Stichtagsverschiebung gestimmt gegenüber
113 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung und sieben nicht abgegeben
Stimmen. Ein relativ ausgeglichenes Ergebnis im Vergleich zur
Abstimmung 2002, bei der noch gut 60 Prozent der CDU/CSU Abgeordneten
gegen einen Import embryonaler Stammzellen gestimmt haben – gegenüber
36 Prozent Befürwortern. Wie beurteilen Sie das aktuelle
Abstimmungsverhalten in Ihrer Fraktion vor dem Hintergrund des
Druckes von Forschungsministerin Schavan und Bundeskanzlerin Angela
Merkel? Hatte dieser Druck Ihrer Ansicht nach einen erheblichen
Einfluss auf das Abstimmungsverhalten?

Hubert Hüppe: Also ich kann nicht
ausschließen, dass es auch Kolleginnen und Kollegen gab, die
sich möglicherweise haben davon beeindrucken lassen, dass die
Kanzlerin und die eigene CDU-Ministerin sehr für eine
Stichtagsverschiebung geworben haben. Trotzdem muss man sagen, dass –
wenn Ihr Ergebnis stimmt – immerhin mehr als die Hälfte der
Fraktion eine andere Meinung haben und man muss dann genau
analysieren wie das bei den verschiedenen Abstimmungen gelaufen ist.
In der Kürze der Zeit kann ich das jetzt noch nicht sagen, aber
zum Beispiel hat die Junge Union Deutschlands ganz eindeutig gegen
die Stichtagsverschiebung Stellung bezogen. Unter anderem auch ihr
Bundesvorsitzender, der Mitglied des Deutschen Bundestages ist. Und
es macht mir Hoffnung wenn gerade die Jugendorganisation der Union so
geschlossen für den Wert des Lebens und der Menschenwürde
eintritt. Auf jeden Fall werde ich weiter für eine Mehrheit
kämpfen und mich mit dem jetzigen Ergebnis nicht abfinden.

CG: Sehr geehrter Herr Hüppe, ist das
Ergebnis der Abstimmung nicht ein großer Schlag gegen die
gesamte Pro-Life-Bewegung? Wie schätzen Sie nun die Gefahr ein,
dass das Embryonenschutzgesetz als nächstes fällt?

Hubert Hüppe: In der Tat ist es eine
Ni
ederlage für die Lebensschutzbewegung und in der Tat
muss man Angst haben, dass die sogenannte ethische Wanderdüne
weiterzieht. Es gab ja jetzt auch schon Stimmen wie die des
Landesvorsitzenden der SPD im Saarland Maas, die jetzt die Tötung
von Embryonen auch in Deutschland zulassen wollen. Ich hoffe, dass
die, die sich für den Lebensschutz engagieren, sich auch in die
Parteien begeben, denn nur dort kann man den politischen Einfluss
geltend machen.

Moest: Ist es keine Doppelmoral, die embryonale
Stammzellenerstellung nicht zu erlauben, mit dem Verweis auf das
menschliche Leben, aber Abtreibungen zu erlauben?

Hubert Hüppe: Ich habe ja auch gegen die
Freigabe der Abtreibung gestimmt. Ich habe auch mehrfach Anfragen und
Initiativen zum Beispiel beim Thema Spätabtreibung – auch im
Bundestag – gestartet und ich finde das natürlich auch nicht
richtig, dass zum Beispiel bei behinderten Föten eine Abtreibung
in Deutschland sogar bis zur Geburt möglich ist. Für mich
ist allerdings unverständlich, dass diese Argumentation,
dass man – wenn man Abtreibung zulässt, auch die embryonale
Stammzellforschung zulassen muss – von allen betrieben worden ist,
die für diese Abtreibungsregelung gestimmt haben. Denn früher
haben auch die, die für die jetzige Regelung der Abtreibung
sind, gesagt dass man durch die Beratungsregelung besser das Leben
schützen könnte als mit Strafrecht.

Moderatorin: Einige kritische Nachfragen sind
inzwischen eingetroffen:

Taigabaer: Ist, wenn es hart auf hart kommt, die
Existenzberechtigung eines kranken erwachsenen Menschen nicht höher
als die einer gefühls- und gedankenlosen Ansammlung von 200
Zellen?

felipe: Wieso räumen Sie menschlichen
Embryonen die volle Menschenwürde ein? Ich persönlich würde
da eher von einer Art "Vorwürde" sprechen.

Hubert Hüppe: Also dieses Dilemma gibt es
überhaupt nicht, denn diesem Kranken wird auch nicht dadurch
geholfen, dass ein Embryo getötet wird. Im Gegenteil: Es ist
viel Geld verbrannt worden für diese Forschung, an der noch kein
Mensch genesen ist und von denen noch kein Kranker etwas hatte.
Ansonsten geht es nicht um 200 Zellen sondern um einen Embryo, wie
Sie und ich einer waren. Und wenn ich einmal anfange, abzuwägen,
welcher Mensch denn die höhere Qualität hätte als der
andere, dann wird es aus meiner Sicht noch in ganz anderen Bereichen
Tabubrüche geben.

CG: Ist nun das Embryonenschutzgesetz in Gefahr?

Hubert Hüppe: Ja, das Embryonenschutzgesetz
ist in Gefahr und es wird unter Druck geraten, weil jetzt schon
einige argumentieren, warum wir nicht in Deutschland auch eigene
embryonale Stammzellen herstellen können – aus deutschen
Embryonen, damit das in der Hand von deutschen Forschern
unter standardisierten Bedingungen stattfinden kann. Auf jeden Fall
fing es auch in anderen Ländern erst mit kleinen Tabubrüchen
an. Heute gibt es sogar Nachbarländer, in denen man im Rahmen
der künstlichen Befruchtung sich sogar das passende Geschlecht
des Embryo aussuchen kann und die anderen dann getötet werden.

Moderatorin: Kurze Information zu unserer
Leser-Umfrage, die hier nebenbei live im Chat-Room lief. Wir haben
gefragt: „Finden Sie, dass der Bundestag bei der
Stichtagsverschiebung richtig entschieden hat?" – 50 Prozent haben
ja gesagt, 50 Prozent nein.

Hubert Hüppe: Ich nehme das Ergebnis zur
Kenntnis. Es gibt auch aus diesem Jahr eine Infratest-Umfrage bei der
über 60 Prozent meinen Standpunkt in der deutschen Bevölkerung
teilen – aber für mich sind eigentlich in dieser Frage Umfragen
nicht so wichtig, weil wenn ich meine, dass die Menschenwürde
durch die embryonale Stammzellenforschung angetastet wird, dann würde
ich auch dann dagegen stimmen, wenn 90 Prozent der Bevölkerung
in Umfragen etwas anderes fordern.

SoWhy: Auf welcher (wissenschaftlichen) Grundlage
basiert die Annahme, Stammzellen seien menschliches Leben? Und halten
Sie auch die Pille danach für ein Mordwerkzeug? Oder die
Spirale?

Hubert Hüppe: Also ich lehne die Pille
danach ab, weil sie darauf ausgerichtet ist, entstandenes
menschliches Leben zu töten, gar keine Frage. Aber ich habe auch
nicht gesagt, dass die Stammzelle menschliches Leben sei im Sinne
eines ganzen Menschen, sondern der Embryo aus dem die Stammzelle
stammt und der für die Stammzellforschung getötet wird. Und
dass der Mensch individuell mit Verschmelzung von Ei und Samenzelle
beginnt, ist einfach eine biologische Tatsache, die sogar von den
meisten der Befürwortern für die jetzige Regelung heute so
dargestellt wurde.

theScientist : Guten Tag,
Herr Hüppe. Sie stellen den Wert der Embryonen als menschliches
Leben besonders heraus. Weniger christlich geprägte Menschen
sprechen von einem Zellhaufen. Aber dessen ungeachtet: Warum betonen
Sie nicht den Wert des Lebens der Menschen, denen vielleicht eines
Tages durch eine Stammzelltherapie geholfen werden könnte?

harry hirsch: Forschung betreibt man deswegen,
weil man etwas herausfinden will (zum Beispiel, wie sich Stammzellen
nutzen lassen) und nicht weil man schon weiß, wie etwas
funktioniert.

Hubert Hüppe: Ich betone sehr wohl den Wert
von zum Beispiel chronisch-kranken und behinderten Menschen. Deswegen
engagiere ich mich nicht nur für den Schutz des ungeborenen
Menschen sondern auch für Menschen mit Behinderung und deswegen
bin ich auch behindertenpolitischer Sprecher meiner Fraktion und
unter anderem auch im Bundesvorstand der Lebenshilfe für
Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Es ist Realität,
dass fast alle Behindertenverbände – unter anderem auch die
Lebenshilfe – gegen die embryonale Stammzellforschung sind, weil sie
Angst haben, dass wenn man einmal anfängt, die
Forschungsfreiheit so absolut zu stellen, dass auch das Lebensrecht
und die Menschenwürde eingeschränkt werden kann, es in
anderen Bereichen weitergeht. So war zum Beispiel in der
Bioethik-Konvention des Europarats gefordert worden, dass auch
fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen
Personen erlaubt werden soll. Deutschland hat dieses Abkommen nicht
ratifiziert, weil wir gesagt haben, dass zum Beispiel so genannte
geistig Behinderte, Altersdemente, Kleinkinder und andere, die in
eine Forschung nicht einwilligen können, niemals als
Forschungsobjekte missbraucht werden dürfen. Deswegen würde
ich mich freuen, wenn alle, die heute so für die
Forschungsfreiheit gesprochen haben, sich genau so dafür
einsetzen würden, dass die, die heute krank sind, unter besseren
Bedingungen gepflegt und therapiert werden und dass sie zum Beispiel
auch Zugang zu Therapien haben, wie zum Beispiel Therapien mit
adulten Stammzellen, wie es in anderen Ländern mit mehr Zugang
zu Nabelschnurblutstammzellen schon längst der Fall ist. Wenn
wir mal so viel Zeit im Deutschen Bundestag darüber reden
würden, wie es Menschen in Heimeinrichtungen geht, die künstlich
ernährt werden, um Pflegezeit zu sparen, dann wäre dieser
Personenkreis sicherlich sehr dankbar.

Moderatorin: Das war eine Stunde hier im
tagesschau-Chat. Nochmals vielen Dank, Herr Hüppe, dass Sie sich
Zeit genommen haben für die Diskussion mit den Lesern von
tagesschau.de und politik-digital.de. Dankeschön an unsere User
für die vielen Fragen, die wir leider nicht alle stellen
konnten. Das tagesschau.de-Team wünscht allen noch einen schönen
Tag.

Hubert Hüppe: Ich bedanke mich auch und wenn
Sie mich das nächste mal einladen und ich nicht so früh
nach Hause muss und nicht so viele Termine habe, können wir auch
mehrere Stunden diskutieren. Und allen noch einen schönen guten
Tag (am Computer) – auch denen die nicht meine Meinung teilen.