Am Montag, 22. Mai, war Fritz Kuhn,
Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, zu Gast im tagesschau-Chat.
Er stellte sich den Fragen der User zu der zukünftigen politischen
Profilierung der Grünen, der Energiepolitik und inhaltlichen
Schnittmengen mit der CDU.

Moderator: Liebe Chatter, heute
heißt unser Gast im ARD-Hauptstadtstudio Fritz Kuhn. Er ist
Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. In dieser Funktion
ist Herr Kuhn sozusagen Universalist und daher sind auch Fragen
aus allen relevanten politischen Bereichen erwünscht. Wie immer
sortieren wir die Fragen. Herr Kuhn, kann es losgehen?

Fritz Kuhn: Klar kann es losgehen.

durruti: Hallo Herr Kuhn! Welche Existenzberechtigung
hat die Grüne Partei noch, nachdem sie alle ihre demokratischen
und pazifistischen Grundwerte aufgegeben hat?

Fritz Kuhn: Das sehe ich überhaupt nicht.
Die Grünen sind die einzige ökologische Partei in Deutschland.
Wir haben ein sehr weit reichendes Konzept gerechter Globalisierung
und klare Vorstellungen, wie man den Sozialstaat gerechter und tragfähiger
machen kann. In Baden-Württemberg haben 12 Prozent der Wähler
an unserer Existenzberechtigung nicht gezweifelt.

June24: Im Moment macht es den Eindruck, dass
die Grünen sich zu jedem gerade in den Medien präsenten
Thema äußern, ohne dadurch jedoch an Boden zu gewinnen.
Das wirkt ein wenig hilflos. Finden Sie sich als Opposition etwa
nicht zurecht?

Fritz Kuhn: Wir hatten eine Zeit gebraucht, den
Rollenwechsel von der Regierung zur Opposition hinzukriegen, aber
jetzt sind wir ganz in der Opposition angekommen. Natürlich
setzen wir Schwerpunkte, etwa mit einem Thema wie „weg vom
Öl“, also der ökologischen Modernisierung.

Sozialdemokrat2: Werter Herr Kuhn, denken Sie,
dass es problematisch ist, dass die Grünen mit ihrer Arbeit
als Oppositionspartei wesentlich weniger Erfahrung haben als zum
Beispiel die FDP?

Fritz Kuhn: Wenn man die grüne Parteigeschichte
kennt, dann stimmt es ja nicht. In Baden-Württemberg sind wir
seit 25 Jahren in der Opposition und haben dazu beigetragen, das
Land auch aus dieser Rolle heraus zu verändern. Einen Schreihals-Wettbewerb
mit dem lauten Guido werden wir allerdings nicht veranstalten.

maico: Meiner Meinung nach haben sich die Grünen
überlebt. Was bleibt, wird das Flaschenpfand sein.

Fritz Kuhn: Da irren Sie sich, lieber maico. Die
ökologische Fragestellung ist nach meiner festen Überzeugung
eine Jahrhundertfragestellung, so wie das Thema soziale Gerechtigkeit
für die SPD im ausgehenden 19. Jahrhundert.

phil4ya: Lieber Herr Kuhn, die große Koalition
trifft eine umstrittene Entscheidung nach der anderen. Trotzdem
ist es im Lager der Opposition erstaunlich ruhig. Insbesondere von
den Grünen ist wenig zu hören. Welche Maßnahmen
strebt Ihre Partei an, um wieder an Profil zu gewinnen?

Fritz Kuhn: Die große Koalition versinkt
gegenwärtig im Steuerchaos und mit der Mehrwertsteuererhöhung
wird sie zum Jahreswechsel den Aufschwung kaputt machen. Ich glaube
schon, dass deutlich wird, dass die grüne Opposition hier dagegen
hält.

TobiH: Die FDP hat jüngst einen Vorstoß
in die Umweltpolitik gewagt. Macht den Grünen diese Wende in
der FDP-Politik Sorgen? Verlieren sie mit ihren wichtigsten politischen
Themen auch ihre Rolle als Oppositionspartei? Vielen Dank.

Fritz Kuhn: Lieber TobiH, der FDP-Parteitagsbeschluss
macht mir keinerlei Sorgen. Wer sagt, er wolle mehr umweltpolitische
Kompetenz, aber gleichzeitig wie die FDP den Widereinstieg in die
Atomkraft fordert und die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes,
der zeigt, dass er von Ökologie soviel versteht, wie eine Kuh
vom Vier-Finger-Pfeifen.

Moderator: Wie wollen die Grünen diese Kritik
an der FDP nach außen kommunizieren – nach deren Parteitag
kürzlich hörte man wenig…

Fritz Kuhn: Wir stellen dies überall in Redaktionsgesprächen
und politischen Diskussionen natürlich vor, was die FDP beschlossen
hat. Und ich bin mir sicher, dass die FDP mit ihrem halbgaren Beschluss
kein ökologisches Land gewinnen kann.

regiolf: Oft thematisiert wurden mögliche
Koalitionen mit der Union. Sehen Sie hier tatsächlich eine
vergleichbare politische Schnittmenge wie mit der SPD?

Fritz Kuhn: Die politische Schnittmenge mit der
SPD ist derzeit sicherlich größer. Dennoch kann Schwarz-Grün
eine politische Option für meine Partei werden. Dies hängt
allerdings von den Inhalten ab. Noch immer hat die Union massive
Modernisierungsdefizite in der Ökologie, beim Verbraucherschutz
und auch bei integrationspolitischen Fragen. Nur wenn sie diese
Defizite überwindet, macht Schwarz-Grün einen Sinn.

Moderator: In 25 Jahren ist vielleicht das letzte
AKW abgeschaltet – ist das ein guter Zeitrahmen?

Fritz Kuhn: Ich würde mich sehr freuen, wenn
es wirklich gelingt, das Atomausstiegsgesetz umzusetzen. Überall
in der Welt schaut man genau hin, ob Deutschland diesen Ausstieg
wirklich schafft. Ich bin überzeugt, dass es geht und auch
auf eine klimafreundliche Art und Weise geht. Mit einer Union, die
andauernd wieder einsteigen will in die Atomkraft, könnten
wir allerdings nicht koalieren.

Habermaaß: Welche Opfer würden Sie
für eine Koalition mit der CDU auf Landesebene bringen?

Fritz Kuhn: Ich würde da nicht von Opfern
reden. Entscheidend ist, dass unsere Kernthemen, Ökologie,
Verbraucherschutz, auch Integration und Schutz von Minderheiten
in einer Landeskoalition vorangebracht werden. Dazu kommt ein Thema
wie die Kinderpolitik und die Bildungsreform. Erst auf der Basis
der Erfolge, die man erzielt, kann man bewerten ob Kompromisse,
die man eingehen muss, akzeptabel sind oder nicht.

Herr Fiebig: Mein Problem mit den Grünen
hatte ich in den letzten Jahren eher mit den wirtschaftspolitischen
Entscheidungen. Jetzt, wo die FDP auf einmal die Ökologie "neu
entdeckt", ist für mich die Frage: Welche der Oppositionsparteien
tritt für wirkliche Veränderung in der Arbeitsmarkt- und
Wirtschaftspolitik ein? Haben die Grünen da Vorstellungen,
die über die Energiepolitik hinausgehen?

Fritz Kuhn: Unter dem Leitbegriff "Grüne
Marktwirtschaft" haben wir eine wirtschaftspolitische Konzeption,
die dem Marktgeschehen einen klaren ökologischen und sozialen
Rahmen setzt. Dazu gehört auch, dass wir mehr Wettbewerb anstatt
bestehender Monopole brauchen und auch wirklich verbesserte Chancen
gerade für junge Leute, eine Existenz zu gründen. Lassen
Sie sich doch unser Thesenpapier zur grünen Marktwirtschaft
unter www.gruene-bundestag.de
runterladen.

Zuhörer82: Deutschlands Vorreiterrolle im
Atomausstieg könnte sich jedoch auch als finanzielles Desaster
erweisen. Wie ist das mit Nachhaltigkeit ihrer Politik zu vereinen?

Fritz Kuhn: Ich bezweifle, dass der Atomausstieg
ein finanzielles Desaster werden wird. Im Gegenteil. Wenn wir jetzt
volle Kanne einsteigen in mehr Energieeffizienz und in die Erneuerbare
Energietechniken, dann werden wir z.B. im Export dieser Energietechnik
viel Geld verdienen. Man kann mit grünen Ideen schwarze Zahlen
schreiben.

Mik: Finden Sie es wirklich sinnvoll, die Atomkraftwerke
abzuschalten, obwohl es bisher und auch in näherer Zukunft
keine wirkliche Alternative gibt? Ich fürchte, in wenigen Jahren
werden wir Strom aus Frankreich und Osteuropa zukaufen müssen…

Fritz Kuhn: Es gibt jede Menge Alternativen. Wichtig
ist insbesondere, dass wir viel effektiver mit Strom und Wärme
umgehen können. Wir müssen die Wirkungsgrade der Stromerzeugung
steigern und schließlich haben wir mit Sonne, Wind, Wasser
und Biomasse ein riesiges Potential Erneuerbarer Energien. Ganz
persönlich will ich sagen: Ich halte die Atomkraft für
zu gefährlich, um sie verantworten zu können.

Atemschutz: Wie kann es eigentlich sein, dass
die Stromlobby in der Politik so stark verankert ist, dass umweltschonende
Blockheizkraftwerke von Privatpersonen nicht an öffentliche
Stromnetze angeschlossen werden dürfen?

Fritz Kuhn: Wir haben in Deutschland tatsächlich
immensen Einfluss von wirtschaftlichen Lobbys. Die vier großen
Energieerzeuger gehören ebenso dazu, wie marktbeherrschende
Firmen in der chemischen oder der Pharmaindustrie. Die vier Energieerzeuger
verlangen irrsinnig hohe Preise für Stromdurchleitung auf ihren
Netzen. Ich verlange, dass die Bundesregierung hier echten Wettbewerb
durchsetzt.

Thomas Herz: Herr Kuhn, wie sollte Ihrer Meinung
nach Energie langfristig besteuert werden? Würden Sie beispielsweise
Energie für Mobilität anders besteuern? Würden Sie
direkte oder indirekte Besteuerung erwägen?

Fritz Kuhn: Zunächst geht es für mich
darum, chancengerechte Besteuerung der verschiedenen Mobilitätssysteme
zu erreichen. So ist der Flugverkehr gegenüber Straße
und Schiene begünstigt. Bei der Ökosteuer halte ich es
für wichtig, dass die vielen Ausnahmeregelungen, die es derzeit
gibt, abgebaut werden. Das Beste, was wir in den letzten Jahren
geschaffen haben, ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz.

dominikholz: Sind Sie eigentlich mit den Benzinpreisen
zufrieden? Wenn es nach Ihnen ginge, wären die Preise wahrscheinlich
noch höher. Eine ungerechtere Steuer als die Ökosteuer
gibt es meiner Meinung nach nicht, da nicht die ganze Bevölkerung
betroffen ist. Da ist die Mehrwertsteuer gerecht. Diese muss jeder
bezahlen. Ich muss sagen, es macht keinen Spaß arbeiten zu
fahren bei diesen Benzinpreisen. Bus und Bahnen sind auch keine
Alternative im Dorf.

Fritz Kuhn: Die Ökosteuer ist im Vergleich
zu den Energiepreiserhöhungen der letzten beiden Jahre marginal.
Wir hatten vor 3 Jahren einen Ölpreis von 30 US-Dollar pro
Barrel und liegen heute bei 70 US-Dollar. Die letzte Ökosteuererhöhung
war vor drei Jahren. Damit wir uns klar verstehen: Ich freue mich
nicht über die hohen Energiepreise, weil ich die sozialen und
wirtschaftlichen Folgen kenne. Deswegen sagen wir Grüne: Weg
vom Öl, auch durch intelligentere Autotechnik.

Seppo: Warum hat die Grüne Fraktion im Punkt
der Endlager eine eher alte Position, die mit der SPD innerhalb
der Koalition abgesprochen war, bezogen und nicht den radikaleren
Weg Ihrer Umweltpolitiker eingeschlagen? Ist die grüne Bundestagsfraktion
nicht noch zu sehr Regierungsfraktion?

Fritz Kuhn: Wir sind dafür, dass nach einem
transparenten Suchverfahren in Deutschland ein Standort für
ein atomares Endlager gefunden wird. Den Salzstock in Gorleben halte
ich dafür nicht geeignet. Klar ist für uns auch, dass
die Atomindustrie die Kosten für ein faires Standortsuchverfahren
tragen muss. Der Streit in meiner Fraktion ging lediglich um die
Frage, wie man das Verursacherprinzip am besten durchsetzen kann.

David21: Herr Beck hat die Grünen kürzlich
mit Schlagworten wie "neoliberal " tituliert und in der
Tat könnte man – was Themen und Klientel angeht – meinen, die
Grünen sind heute eher eine linke FDP. Stört Sie dieser
Eindruck?

Fritz Kuhn: Die Grünen sind keine neoliberale
Partei. Das ist Quatsch mit Soße. Es gibt viele politische
Fragestellungen, für die der Markt allein keine vernünftige
Antwort finden kann. Wir brauchen politische Lösungen und brauchen
auch einen Staat, der sie gegenüber der Wirtschaft durchsetzen
kann. Deswegen haben wir mit der neoliberalen FDP nichts zu tun.

mp3: Zum Thema "No-Go-Areas": Sie meinten
ja, man müsste das Thema mehr skandalisieren anstatt es zu
verschweigen. Wem ist denn mit der Ausrufung von Reisewarnungen
geholfen? Stärkt das nicht eher die Position der Rechten?

David21: "Die Welt zu Gast bei Freunden "
– Wie ist ihrer Meinung nach dem Rechtsextremismus in Deutschland
– auch fernab der Fußball-WM – zu begegnen und was halten
Sie von den Aussagen Heyes?

Fritz Kuhn: Ich finde es richtig, wenn wir ein
real existierendes Problem auch wirklich benennen. Deswegen muss
man Gefährdungen, die es in manchen Städten und Regionen
Deutschlands gibt, öffentlich machen. Natürlich müssen
die Politik und die Gesellschaft dann für diese Regionen auch
Konzepte auf den Tisch legen, dass aus einer "No-Go-Area"
eine "Go-Area" wird. Langfristig müssen insbesondere
die CDU und die CSU aufhören, die bei uns lebenden Migranten
und Migrantinnen zu diskriminieren, z.B. mit solchen Tests wie in
Baden-Württemberg oder Hessen. Die CDU hat viel dazu beigetragen,
dass sich die Rechten in Deutschland so stark fühlen können.
Dies muss sich ändern.

Moderator: Hat die Union Schuld? Oder fängt
das Thema nicht in den Familien an?

Fritz Kuhn: Natürlich hat so etwas viele
Ursachen: soziale Ursachen, aber auch ideologische Ausgrenzung.
Die alte Unionsthese, wonach das Boot voll sei und wir keine Migranten
ins Land lassen sollten, hat viel zur ideologischen Vergiftung in
Deutschland beigetragen. Aber natürlich muss auch in der Familie
und in der Schule überall im Land gegen den anwachsenden Rassismus
vorgegangen werden.

Einsteiger: Herr Kuhn, wenn Sie Bürgermeister
in einer kleinen brandenburgischen Gemeinde wären: Was würden
Sie tun, um Ihren Ort frei von Rechtsradikalen zu halten?

Fritz Kuhn: Ich würde versuchen, neben allen
Unterstützungen, die man durch die Polizei und die Landespolitik
bekommen kann, in vielen Versammlungen die Bürger zu überzeugen,
dass der Rechtsradikalismus nicht akzeptabel ist und meiner Stadt
auch wirtschaftlich schadet. Für Firmen, die sich fragen, wo
sie sich niederlassen sollen, ist die Frage ob in der Gegend rechtsradikale
Übergriffe sind oder nicht, inzwischen eine entscheidende Fragestellung.

messias2k: Mit Tests diskriminieren? Also, ich
denke viele Leute, auch Sie Herr Kuhn, aber auch andere Politiker,
wissen nicht, wie es tatsächlich auf den Straßen zugeht.
Ich denke nicht, dass man mit Test jemanden diskriminiert. Wenn
ich in den Urlaub fahre, informiere ich mich auch über das
Land, das ist selbstverständlich für mich. Ich denke,
man sollte von Einwanderern noch sehr viel mehr verlangen, wenn
sie dies nicht freiwillig tun, dann eben Tests.

Fritz Kuhn: Die Tests in BaWü waren ja deswegen
diskriminierend weil sie sich an muslimische Einwanderer allein
richteten. Mit Fragen, die auch viele Deutsche nicht hätten
beantworten können. Selbstverständlich müssen wir
von Leuten, die hier auf Dauer leben wollen, auch Integrationsbereitschaft
verlangen. Der Schlüssel der Integration ist für mich
der Spracherwerb. So müssen alle Kinder, wenn sie in die Schule
kommen, richtig gut deutsch können.

rrs123: Hallo Herr Kuhn. Ist Fremdenfeindlichkeit
in ihren Augen ein ostdeutsches Problem?

Fritz Kuhn: Nein, Fremdenfeindlichkeit gibt es
in ganz Deutschland und in ganz Europa und es wäre auch falsch,
es zu einem rein ostdeutschen Problem zu machen. Allerdings muss
die gesamte Bundesrepublik sich natürlich schon die Frage stellen,
wie man die Menschen in den neuen Ländern vor rechtsradikalen
Übergriffen besser schützen kann.

raffix: Herr Kuhn, zurzeit bin ich noch Schüler
und sehe ein großes Problem darin, dass in den Schulen nie
über Rechtsextremismus gesprochen wird. Warum findet so etwas
nicht Eingang in diverse Lehrpläne? Es gibt viele Themen, die
die persönliche Einzigartigkeit betreffen und in Schulen praktisch
nicht behandelt werden, wie bspw. Meinungsfreiheit, sexuelle Einstellung,
etc.

Fritz Kuhn: Ich teile Ihre Einschätzung,
dass die Länder Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
zum Gegenstand des Lehrplans machen müssen. Dies sollte eine
dringende Konsequenz der aktuellen Diskussion sein. Für Berlin
verlange ich, dass sich der Regierungschef Wowereit endlich mal
selber drum kümmert, was an den Berliner Schulen los ist.

Timo S.: Und wie wollen Sie mit Ausländern
verfahren, die sich ganz bewusst der Integration verweigern?

Fritz Kuhn: Ich bin überzeugt, dass wir allen
Menschen in Deutschland klar machen können, dass Integration
sein muss. Integration heißt Anerkennung zu bekommen, auch
in der Verschiedenheit, aber Integration heißt auch Pflichten
zu übernehmen und sich z.B. zu den Grundwerten unseres GG zu
bekennen. Wir müssen den Dialog mit allen hier lebenden Menschen
über diese Fragen endlich aufnehmen. Dialog geht aber nur unter
der Prämisse: Ihr seid akzeptiert und erwünscht und nicht
unter der Prämisse: Ihr seid unerwünscht.

Eberle Achim: In wie weit haben Sie Fremdenfeindlichkeit
zu verantworten durch eine zu großzügige Zuwanderungspolitik?

Fritz Kuhn: Deutschland hat kein großzügige
Zuwanderungspolitik, sondern hat jahrelang die Realität, dass
wir ein Einwanderungsland sind, geleugnet. Erst mit dem Einwanderungsgesetz
sind wir etwas realitätstauglicher geworden. Ich kann die in
ihrer Frage zum Ausdruck kommende Überfremdungsangst nicht
teilen. In der heutigen Welt sind die Länder erfolgreich, die
nach einem klaren geregelten Verfahren Einwanderung zulassen. Denken
sie an die USA.

Moderator: Hat unsere Selbstdarstellung als perfekter
WM-Gastgeber schon jetzt Risse bekommen – sowohl durch die Diskussion
aber vor allem durch die jüngsten rechtsradikalen Übergriffe?

Fritz Kuhn: Ich finde die Diskussion, wie sie
jetzt von Herrn Heye losgetreten wurde, hilfreich. Denn sie wird
dazu führen, dass sich die vielen Fußballbegeisterten,
wenn sie irgendwo Fremdenfeindlichkeit wahrnehmen, einmischen werden.
Ich finde es immer besser, man diskutiert vorher und nicht hinterher.
Dass wir in Deutschland auch Rassismus haben, können wir nicht
verbergen.

Migrant: Herr Kuhn, warum gibt es in Deutschland
nicht die doppelte Staatsbürgerschaft? In vielen anderen europäischen
Ländern ist die doch längst Normalität. So zum Beispiel
in Großbritanien!

Fritz Kuhn: Es gibt ja die Möglichkeit, doppelte
Staatsbürgerschaft zu beantragen und zu bekommen, allerdings
nach einem noch immer zu restriktiven Verfahren. Die CDU hat hier
einfachere Regeln, wie sie in anderen Ländern möglich
sind, immer hintertrieben.

Atemschutz: Der Fokus hat neulich getitelt: "Die
gescheiterte Integration in Deutschland ". Gezielte Panikmache
von Herrn Markwort? Schürt so etwas nicht das Klima gegen Integration?
Mich hat das sehr geärgert!

Fritz Kuhn: Die Integration in Deutschland ist
nicht gescheitert, aber sie muss wirklich verbessert werden. Zwei
Sachen stehen im Vordergrund: Erstens müssen wir den Menschen,
die zu uns kommen, die gleiche Anerkennung zollen. Und zweitens
müssen sie bereit sein, an unserem öffentlichen Leben
teilzunehmen. Dazu gehört der Erwerb der deutschen Sprache.
Kinder in der Grundschule, die nicht deutsch können, können
sie auch nicht integrieren.

C.B.: Herr Kuhn, wie stehen die Grünen inzwischen
zur Thematik der Cannabis-Legalisierung? Kann man einen Vorstoß
Ihrer Partei erwarten und wie stehen Sie zum niederländischen
Modell (kontrollierte staatliche Abgabe und Versteuerung)? Immerhin
ist in den Niederlanden die Zahl der Cannabis-Konsumenten nach der
Tolerierung / „Legalisierung“ erheblich gesunken.

Fritz Kuhn: Wir Grünen fordern in unserem
Wahlprogramm die Legalisierung von Cannabis. Hauptgrund ist, dass
im Verbot des Cannabisgebrauchs ein ideales Einfallstor liegt für
Dealer, die dann mit harten Drogen nachsetzen. Ich will allerdings
nicht verhehlen, dass mich persönlich neuere Studien, unter
anderem aus den USA, sehr skeptisch machen, die sagen, dass regelmäßiger
Cannabisgebrauch sowohl die Lernfähigkeit junger Menschen beeinträchtigt
als auch die Wahrscheinlichkeit, im späteren Leben an Schizophrenie
zu erkranken, steigert. Als Vater zweier Söhne mache ich mir
da meine Gedanken, ob wir mit unserer Forderung noch richtig liegen.

durruti: Und haben in sieben Jahren Regierung
keinen Versuch gemacht, die Legalisierung durchzusetzen, oder?

Fritz Kuhn: Doch, wir haben es in zwei Koalitionsverhandlungen
vorgeschlagen und vertreten, sind aber beim Koalitionspartner SPD
mit dieser Forderung nicht weiter gekommen.

mabest: Warum hört man eigentlich so wenig
über eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen,
sagen wir mal bei 140 Km/h? Das wäre doch was für die
Grünen.

Fritz Kuhn: Wir treten ein für vernünftige
Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich sage voraus, dass die weitere
Entwicklung des Ölpreises solche Geschwindigkeitsbegrenzungen
herbeiführen wird. Vor allem, weil unsere Automobilindustrie
noch immer zu lahm ist, wirklich verbrauchsarme Fahrzeuge auf den
Markt zu bringen. Wir wollen nicht länger über das 3-Liter-Auto
diskutieren, sondern wir wollen es sehen.

horst55: Als Elternteil muss man sich natürlich
immer Gedanken machen, ob Drogen allgemein nicht besser illegal
wären. Denken Sie nicht, dass eine Kriminalisierung neugieriger
Jugendlicher schlimmer wiegt als ein disziplinierter Umgang in Verbindung
mit Aufklärung?

Fritz Kuhn: Ich glaube schon, dass Aufklärung
und ein disziplinierter Umgang im Vordergrund stehen müssen.
Die Legalisierungsforderung von Haschisch kommt ja auch daher, dass
sie einem Jugendlichen schwer klar machen können, warum Alkohol
eine Art national anerkannte Droge ist. während Haschisch-Gebrauch
diskriminiert wird. Weiterhelfen wird nur eine offene Diskussion
über Drogen in unserer Gesellschaft.

Moderator: Das waren 60 Minuten tagesschau-Chat.
Vielen Dank an alle Teilnehmer für Ihre Fragen ? und die Bitte
um Verständnis an jene, deren Fragen wir heute nicht berücksichtigen
konnten. Besonderen Dank an Herrn Kuhn, ohne den es heute keinen
Chat gegeben hätte. Der nächste tagesschau.de-Chat ist
für den 31. Mai vorgesehen. Gast wird dann ab dreizehn Uhr
der Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach sein.

Fritz Kuhn: Ich danke allen, die mitgemacht haben,
für die präzisen Fragen und wer noch weiter diskutieren
will, kann auch an mein Büro schreiben unter www.fritz-kuhn.de.
Vielen Dank.