Am Dienstag, den 6. November, war die bloggende Europa- Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin (FDP) zu Gast in der Blogsprechstunde, dem Chat von politik-digital.de und den Blogpiloten. Sie sprach über den Einfluss von Blogs auf die politische Meinungsbildung und über Europapolitik.

 

Moderator: Hallo und herzlich willkommen zur Blogsprechstunde,
dem Chat von politik-digital.de und den Blogpiloten. Heute ist die
bloggende Europa-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin unser Gast. Sie
chattet mit uns aus Brüssel. Um 16.00 Uhr geht es los, Sie
können Ihre Fragen aber gerne jetzt schon stellen, wir Moderatoren
sammeln sie hier.
Vielen Dank, Frau Koch-Mehrin, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Hier ist es jetzt 16.00 Uhr, können wir starten?

Silvana Koch-Mehrin: Sehr gerne!

Silvana Koch-Mehrin
Silvana Koch-Mehrin,
FDP-Abgeordnete im Europaparlament

bloggt auf Eurofighter

Moderator: Unsere Nutzer konnten
schon im Vorfeld Fragen stellen und darüber abstimmen, welche
heute den Chat eröffnet. Hier ist die erste:

Esther: Was haben Sie für einen Eindruck,
wie nah ist den Bürgern in Deutschland die Europapolitik? Führen
Sie Ihr Blog auch, um den Menschen die politischen Abläufe
in Brüssel bekannter zu machen?

Silvana Koch-Mehrin: Im Alltag findet Europa ständig
statt, dass das so ist, nimmt aber – meine ich – kaum jemand wahr.
Also: Die Europapolitik ist nach wie vor zu weit weg, und ja: meinen
Blog führe ich auch deshalb, um einen zusätzlichen Weg
für Interesse an Europa zu nutzen.

mantell: Sie bloggen bei Focus Online – von wem
ging da die Initiative aus? Ist Focus auf Sie zugegangen?

Silvana Koch-Mehrin: Das war eine wunderbare
symbiotische Angelegenheit. Der damalige Chefredakteur Jürgen
Marks hatte die Idee, Politiker auf Focus-Online bloggen zu lassen,
und wir kamen ins Gespräch darüber, und ich habe sofort
gesagt: Da würde ich gerne mitmachen!

Ulli: Ich glaube, als Sie beim Focus mit dem Blog
anfingen, war das im Verbund mit anderen Politikern. Darunter auch:
Ursula von der Leyen. Die stieg aber aus. Das war schwach, oder?

Silvana Koch-Mehrin: Ich finde das Blog nach wie
vor eine sehr gute Sache, auch wenn ich nicht immer so regelmäßig
dazu kommen, wie ich es mir wünsche. Keine Ahnung, warum Frau
von der Leyen kein Interesse mehr hatte.

Bruxelles: Nachfrage: Meinen Sie sie können
den Bürgern Europapolitik in ihrer ganzen Komplexität
per Blog nahe bringen?

Silvana Koch-Mehrin: Nein. Dazu ist ein Blog nicht
das geeignete Medium. Aber es geht mir ja auch darum, immer wieder
Schlaglichter auf Ereignisse in der EU-Politik zu werfen, damit
daraus vielleicht mehr Interesse entsteht. Im Blog äußere
ich ja auch vor allem meine persönliche Einschätzung zur
EU-Politik.

Ruller Munk: Sie bekommen ja ziemlich viele Kommentare
in Ihrem Blog. Wie gehen Sie mit dieser direkten Feedback-Möglichkeit
um, wie gehen Sie mit anderen politischen Meinungen in den Kommentaren
um?

Silvana Koch-Mehrin: Es gibt unterschiedliche
Arten von Reaktionen. Manchmal ist es einfach nur Pöbelei –
im Schutz der Anonymität des Internets. Dazu sage ich inzwischen
nichts mehr. Wenn es tatsächlich eine andere politische Meinung
ist, nehme ich sie entweder zur Kenntnis, oder ich schicke dem Verfasser
weitere Informationen, die seine Meinungsäußerung möglicherweise
verändern könnte. Je nachdem.

ohmygosh: Welcher Kommentar Ihrer Leser ist Ihnen
denn am meisten im Kopf geblieben?

Silvana Koch-Mehrin: Ehrlich gesagt habe ich mir
in dieser Hinsicht ein ausgesprochenes Kurzzeitgedächtnis zugelegt.

jkjkj: Gibt es Blogs, die Sie ab und an lesen?
Wenn ja, welche?

Silvana Koch-Mehrin: Das Bildblog
finde ich immer wieder bereichernd.

Moderator: Zwei Fragen zu bloggenden Politiker-Kollegen:

grille: Verfolgen Sie eigentlich auch Blogs anderer
Politiker? Was halten Sie von denen?

tzu: Kommentieren Sie eigentlich auch bei Ihren
bloggenden Politikerkollegen (z.B. O. Metzger)?

Silvana Koch-Mehrin: An grille: Nicht regelmäßig.
An tzu: Nein.

Moderator: Natürlich haben uns auch einige
Fragen zur Europa-Politik erreicht:

Catalan: Was sind eigentlich die größten
Vorurteile, die Ihnen betreffend der Europapolitik so begegnet sind?

Silvana Koch-Mehrin: Oh weia. Also: Bürokratischer
Wasserkopf EU, Geldverschwendung, Raumschiff EU und so weiter. Auch:
Intransparent und undemokratisch, wobei das zum Teil ja auch zutrifft.

marara: Wie kann man denn diesen Vorurteilen entgegenwirken?

Silvana Koch-Mehrin: Einerseits natürlich
über den Versuch, so viel Information wie möglich zu überbringen.
aber nach meiner Erfahrung werden Europapolitiker medial sehr wenig
wahrgenommen. Deshalb halte ich es für essentiell, dass Europapolitik
Teil der deutschen Innenpolitik wird.

rolfi: Welchen Medien würden Sie denn eine
Chance einräumen, das Bild der EU zu verändern? Oder ist
das gar nicht so negativ, wie man manchmal denkt?

Silvana Koch-Mehrin: Am Wichtigsten ist das Fernsehen.
Neben der politischen Information über die EU wäre es
gut, wenn auch das Lebensgefühl Europa wahrnehmbar wäre
– das ist auch so viel weniger negativ.

classic: Sie sagen selbst, dass Intransparenz
und undemokratisch manchmal zutreffen. Wie setzen sich die EU-Parlamentarier
für mehr Transparenz und Demokratie in der EU ein?

Silvana Koch-Mehrin: Ein kurzes Eigenlob: Das Europaparlament
ist sehr transparent. Alle Sitzungen sind öffentlich, die Protokolle
sind im Internet verfügbar. Hier ist eher die Flut der Information
die Herausforderung für den Interessierten. Im Rat, wo die
nationalen Minister zusammentreffen und bei allem und jedem das
letzte Wort haben, ist Transparenz leider nach wie vor unterentwickelt.

Moderator: Haben Sie Ideen, wie man dem entgegenwirken
könnte?

Silvana Koch-Mehrin: In Dänemark werden
die Initiativen der EU-Kommission, die ja immer am Anfang jeder
EU-Gesetzgebung stehen, unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung
im nationalen Parlament diskutiert. Die Regierungsmitglieder berichten
auch nach ihren Treffen in Brüssel. Das wäre auch für
Deutschland sinnvoll. Außerdem stellt die EU jedes Jahr ihr
Arbeitsprogramm für das jeweils kommende Jahr vor. Das sollte
Anlass sein, eine Debatte im Plenum des Bundestages zu führen.
Das würde auch für größeres Interesse sorgen.

Moderator: Eine Nachfrage zu Medienberichten aus
der EU:

teichtier: Könnte z.B. ein gemeinsamer europäischer
Fernsehsender eine Option sein? Auch wenn man dann noch klären
müsste, welche Programme in welcher Sprache übertragen
werden…

Silvana Koch-Mehrin: Ich bin recht skeptisch was
solche quasi offiziellen Sender angeht. Viel Erfolg könnte
doch eher eine Daily Soap auf RTL haben, „Verliebt in Brüssel“
oder so. Im Ernst: Die Einschaltquoten von Euronews oder arte zeigen,
dass sich nur wenige Zuschauer für deren Angebot interessieren.

Katalina: Viele Menschen haben das Gefühl,
dass die EU versucht, zu viel zu regeln und zu viel unnötige
Bürokratie schafft. Wie sehen Sie das?

Silvana Koch-Mehrin: In mancherlei Hinsicht stimmt
das. Es gibt noch einen Besitzstand an alten EU-Regeln, die parallel
zu anderen, neueren existieren, mit teilweise sogar widersprüchlichen
Regeln. Hier würde ein Verfallsdatum für EU-Gesetzgebung
helfen. Also: Nach einer Zeit kommt in jedem Fall eine Überprüfung
von Sinn und Zweck. Andererseits wird in diversen Bereichen auch
durchaus Bürokratie abgebaut, indem etwa 27 nationale Regeln
abgeschafft werden und durch eine europäische ersetzt werden.
Oder indem Markthemmnisse im Binnenmarkt abgeschafft werden.

Frank: Warum sind europäische Einheitsregeln
und Standardisierungen notwendig? Vergleiche die Äbbelwoi-Diskussion.

Silvana Koch-Mehrin: Apfelwein als Begriff abzuschaffen
wäre meiner Meinung nach total absurd. Manche Regeln hingegen
können sinnvoll sein, weil in der EU der Außenhandel
eine gemeinschaftliche Angelegenheit ist. Also statt 27 Gurkenkrümmungsklassen
nur eine, als Beispiel.

Kalambda: Wenn Sie einmal Ihre Fraktion anschauen:
Wie Internet-affin sind die Kollegen?

Silvana Koch-Mehrin: Meine FDP-Kollegen sind Speerspitze
🙂 Jorgo Chatzimarkakis z.B. hat ein Wahlkreisbüro bei Second
Life. Alexander Graf Lambsdorff war Mitgründer des FDP-Internet-Landesverbandes.
Das nur pars pro toto.

msaip: Die FDP und seit Kurzem auch die SPD setzen
Online-Communities für politische Kommunikation ein. Was denken
Sie darüber? Ist das die Zukunft der Parteiarbeit?

Silvana Koch-Mehrin: Ganz klar: Ja.

teichtier: Wie beeinflusst Ihrer Meinung nach das
Internet die politische Kommunikation?

Silvana Koch-Mehrin: Leitartikler verlieren die
Hoheit über die Meinungsbildung. Das ist gut. Jeder kann im
Internet Meinungsführer werden. Politische Kommunikation wird
im besten Sinne demokratischer.

Moderator: Nachfrage von msaip:

msaip: Welche Vorteile bringen denn diese Online-Communities,
zum einen für die Mitglieder, zum anderen für Politiker?

Silvana Koch-Mehrin: Für Mitglieder: Unmittelbare
Kommunikation. Für Politiker: Zielgruppengenaue Ansprache.

weihnachtsmann: Was war denn Ihre Motivation, mit
dem Bloggen anzufangen?

Silvana Koch-Mehrin: In der Fußgängerzone
am Info-Stand war es einfach zu kalt. Wirklich wahr ist: Ich finde,
das ist eine ausgezeichnete Plattform, um mit Menschen im Gespräch
zu sein, um Interesse für Politik zu wecken und Diskussionen
anzustoßen.

Fantasma: Haben Sie denn den Eindruck, über
das Blog auch eine ähnlich große Menge an Menschen ansprechen
zu können wie z.B. am Info-Stand?

Silvana Koch-Mehrin: Viel mehr Menschen, in jedem
Fall. Die Auswertungen von Focus-Online ergeben, dass es monatlich
mehrere tausend Leser gibt. Um ähnlich viele Kontakte zu haben,
müsste ich mich in der Fußgängerzone dauerhaft niederlassen.

crash: Mit welchen Erwartungen haben Sie angefangen
zu bloggen? Haben diese sich erfüllt?

Silvana Koch-Mehrin: Schöne Fragen. Danke
dafür. Meine Erwartungen waren vor allem, dass sich dadurch
ein tolles, schnelles Diskussionsforum ergeben kann. Erfüllt
haben sich die zum Teil.

Fantasma: Was sagen denn Kollegen zu Ihrem Blog?

Silvana Koch-Mehrin: Das kommt drauf an, über
wen ich mich wieder aufgeregt habe. Meine Mitarbeiter allerdings
finden das ganz großartig. (Einstellungsqualifikation)

Moderator: Noch einmal zurück zur Europapolitik,
da kamen einige Detail-Fragen:

europa: Warum müssen gemeinsame Entscheidungen
in der EU denn einstimmig gefällt werden?

Silvana Koch-Mehrin: Nicht alle Entscheidungen
werden einstimmig gefällt, in mehr und mehr Bereichen lassen
sich mit Mehrheit Entscheidungen herbeiführen. Wenn der Reformvertrag
dann gilt, werden einstimmige Entscheidungen die Ausnahme sein.

juliusevola: Halten Sie den „europäischen
Haftbefehl“ für verfassungsgemäß? Das GG verbietet
die Auslieferung Deutscher.

Silvana Koch-Mehrin: Ich halte ihn für in
der jetzigen Form nicht verfassungsgemäß.

Fantasma: Haben Sie einen Überblick, wie
viele Menschen die EU befürworten, in Deutschland z.B.?

Silvana Koch-Mehrin: Es gibt immer wieder Umfragen,
die Ergebnisse unterscheiden sich aber durchaus, je nach Umfrage-Institut
und Größe der Datenbasis.

Moderator: Sind die Ergebnisse denn generell eher
pro EU?

Silvana Koch-Mehrin: In Deutschland: Ja. Einigen
Allensbach-Umfragen nach will eine Mehrheit der Deutschen mehr Europa
in den meisten Politikbereichen. Die Umfragen von Eurostat ergeben
ein ähnliches Bild. Das Bild von den EU-Institutionen ist allerdings
nicht so positiv wie das von Europa.

Erwin: Hallo Frau Koch-Mehrin, haben Sie den Eindruck,
dass Sie mit Ihrem Weblog die Ansichten einiger Leser über
die EU ändern konnten?

Silvana Koch-Mehrin: Das kann ich ihnen leider
nicht sagen. Meine Erfahrung ist, dass die allermeisten Leser keine
Kommentare schreiben, ich also oft nicht weiß, ob ich auf
Zustimmung stoße oder nicht. Es ist eher zufällig, dass
ich zum Beispiel bei einer Veranstaltung in Deutschland auf einen
Blog-Beitrag angesprochen werde und mir vermittelt wird, dass der
Leser dann dauerhaftes Interesse für europäische Themen
entwickelt hat.

Moderator: Und das waren auch schon wieder 60
Minuten Blogsprechstunde. Vielen Dank für die vielen Fragen
und natürlich vielen Dank an Frau Koch-Mehrin für die
Antworten. Frau Koch-Mehrin, vielleicht noch ein Schlusswort?

Silvana Koch-Mehrin: Vielen Dank! Statt Schlusswort
lieber: Auf Wiedersehen.

Moderator: Wir danken auch und wünschen noch
einen schönen Abend.