(Buchbesprechung, 10.08.2006) Matthias Armborst ist Journalist, Wissenschaftler und Blogger. In seinem Buch “Kopfjäger im Internet oder publizistische Avantgarde? Was Journalisten über Weblogs und ihre Macher wissen sollten” untersucht er das Verhältnis von Journalismus und Blogosphäre.
Wer die jüngst erschienene Monografie von Matthias Armborst aufschlägt, dem fallen folgende Sätze ins Auge: „Wir sind Guerilla-Publizisten. Wir sind Blogger. Wir sind kleine, mobile Einheiten. Wir fliegen unterhalb des Radars der Verlage und Meinungsindustrie.“
Dieses eigenwillige Statement eines Webloggers beschreibt die Beziehung zwischen Blogs und Journalismus, die der Autor in seinem Buch untersucht. Armborst ist selbst Journalist und Autor; das Buch basiert auf seiner Diplomarbeit, in der er sich mit alternativem Journalismus in der Weblog-Kommunikation auseinandersetzt. Diese wissenschaftliche Herkunft merkt man dem Buch an. Schon in der Einleitung liefert eine Fülle an Fußnoten zahlreiche Zusatzinformationen. Wer meint, dass dies den inhaltlichen Fluss beeinträchtigt, irrt.
Schleichende publizistische Revolution
Vielmehr schreibt Armborst klar verständlich und bezieht schon zu Beginn Stellung. Für ihn sind Weblogs eine „schleichende publizistische Revolution“, deren „explosionsartige Verbreitung“ durch die Schwächen der traditionellen Medien begünstigt wird. Erst durch die Mängel der traditionellen Medien werde der Bedarf an alternativen Formaten wie Weblogs erklärbar, schreibt Armborst. In seinen Aussagen über Weblogs beziehe er sich daher immer wieder auf den klassischen Journalismus.
Armborst untersucht die Wechselwirkungen zwischen Weblogs und traditionellem Journalismus und versucht empirisch zu überprüfen, ob Weblogger sich an journalistischen Handlungsweisen orientieren. Dieses Ziel verfolgt der Autor in kleinen Schritten, die es leicht machen, seine Gedankengänge nachzuverfolgen.
Zunächst wird der Weblog-Begriff erklärt, um den Leser auf den zum Verständnis notwendigen Kenntnisstand zu bringen. Weblogs werden als „innovatives Medienschema“ definiert, weil sie im Gegensatz zum traditionellen Journalismus die technischen Potentiale des Internet nutzen. So würden die klassischen Medien vorwiegend bestehende Strukturen ins Netz übertragen, Artikel der Printausgabe würden häufig 1:1 auch online verwendet.
Klassische Journalisten verlieren ihr Informationsmonopol
Die Massenkommunikation, resümiert Armborst, habe den Strukturwandel des 21. Jahrhunderts also nicht vollständig vollzogen. Während das WWW durch Reflexivität und Wechselseitigkeit gekennzeichnet sei, beschränkten sich die traditionellen Medien vielfach noch auf „Einweg-Kommunikation“. Durch ihre polydirektionalen, verlinkten Informationsnetzwerke sei Onlinekommunikation auf dem Weg, den Massenmedien den Rang abzulaufen: Die klassischen Journalisten seien dabei, ihr Informationsmonopol zu verlieren.
Trotz der vielen Vorteile der Weblog-Kommunikation bestehen auch Gefahren. Die Öffentlichkeit zersplittert zusehends, da es immer mehr Angebote zur Auswahl gibt. Darüber hinaus haben nicht alle Menschen einen Netz-Zugang – auch Weblogs tragen also dazu bei, die digitale Spaltung zu vertiefen. Armborst kommt deshalb zu dem Schluss, dass „Informationsgesellschaft nicht mit informierter Gesellschaft gleichzusetzen“ sei.
Armborst ist darauf bedacht, immer wieder die distanzierte Perspektive des Wissenschaftlers einzunehmen und kritisch zu reflektieren. Und das, obwohl er selbst ein „Blog-Beginner“ ist – seit einiger Zeit führt er ein eigenes Weblog.
Aus Sicht eines Wissenschaftlers und Bloggers kann er in Kapitel 3 einen detaillierten Einblick in die Blogosphäre geben, indem er ausführlich über Merkmale und Typen von Weblogs referiert. Was als Vertiefung der Thematik geplant ist, mag für Neueinsteiger sinnvoll sein. Kennern der Weblog-Szene liefert Armborst hier jedoch keine neuen Erkenntnisse. Dafür setzt er sich im vierten Kapitel mit der entscheidenden Frage auseinander: Ist Bloggen Journalismus?
Ist Bloggen Journalismus?
Diese Frage wird in der Literatur oft als irrelevant etikettiert, weil sie auf falschen Prämissen beruht. Nur wenige Weblogger haben überhaupt den Anspruch, Journalisten zu sein. Armborst geht es folgerichtig auch nicht darum, eine eindeutige Antwort zu finden, sondern die Motivationen der Blogger aufzuspüren. Seine Frage, ob diese Motivationen einen journalistischen Hintergrund haben, hält der Autor für berechtigt. Seine Antwort überrascht nicht: Er sieht Weblogger als Kritiker und Konkurrenten der Medien, aber auch als Bereicherung.
Dieses Fazit wird durch die Ergebnisse der empirischen Studie bekräftigt, die der Autor für seine Diplomarbeit durchgeführt hat. Aus einer Befragung von rund 150 Webloggern schließt der Autor, dass Weblogs zwar keine Bedrohung der klassischen Medien sein können, jedoch keinesfalls ignoriert werden sollten. Der traditionelle Journalismus müsse auch in Zukunft mit dem neuen Format rechnen, weil die rasante Blog-Entwicklung den Netzjournalismus nicht unberührt lassen werde.
Vor dem Hintergrund dieser Prognose stelle sich die Frage, was Journalisten zukünftig mit Weblogs anfangen sollen. Armborst schlägt vor, das neue Format als Themenreservoir und Experimentierfeld zu nutzen. Bloggende Journalisten könnten damit in Kontakt zu ihren Lesern treten und sich ein schärferes Profil geben. Damit stellt Armborst keine provozierenden Thesen auf. Dennoch trägt sein Buch zur aktuellen Forschungsdiskussion bei, gerade weil er die deutschsprachige Blogosphäre zum Gegenstand seiner empirischen Untersuchung macht. Solche Studien sind bislang Mangelware.
Verständliche Sprache und informatives Glossar
Darüber hinaus bietet das Buch einen sinnvollen Anhang: Das umfangreiche Glossar lässt auch beim unerfahrenen Leser keine Fragen offen. Zehn zentrale Thesen, die auf Armborsts Diplomarbeit basieren, können Ausgangspunkt für weitere Weblog-Studien sein. Sie beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Weblogs und Journalismus und werden ausdrücklich „zur Diskussion gestellt“.
Auch für Weblog-Kenner und Wissenschaftler bietet der Autor interessante Ansätze. Sein Werk ist eine gelungene Zusammenfassung, die viele relevante Aspekte zumindest anschneidet. Auch der unerfahrene Leser wird durch den verständlichen Sprachstil angesprochen. Armborst greift immer wieder Zitate von Bloggern auf, die seine Ausführungen stützen oder in eigenen Worten umschreiben. Dadurch kann der Leser den Kontrast zwischen der saloppen Blogger-Sprache und dem wissenschaftlichen Schreiben des Autors erkennen. Ein Beispiel: während sich Armborst mit der Blogosphäre als sanktionierende Instanz und Korrektiv beschäftigt und sich mit Modellen der externen Qualitätssicherung auseinandersetzt, ist im gleichen Zusammenhang ein Zitat des Weblogger Christopher Allbritton aufgeführt, das Armborsts Ausführungen kurz und prägnant auf den Punkt bringt: „I didn’t have one editor to answer to, I had thousands“.