Zwei Bücher beleuchten die Cyberkampagnen im amerikanischen Wahlkampf 2000
Wo auch immer heute Wahlkampf herrscht, wandert der Blick in Richtung USA, wo der moderne Wahlkampf und sein Paradigma – die „Amerikanisierung“ – entstanden sind. Vor einem halben Jahrhundert brach in den USA das Fernsehzeitalter und mit ihm die moderne Epoche der politischen Kommunikation an, in der das Fernsehen das wichtigste Kampagnenmedium darstellte. Dabei stand das Selling von politischen Programmen im Mittelpunkt, wobei die Wähler von der Richtigkeit bereits vorgefasster Programme überzeugt werden sollten. Das Fernsehen als Einweg-Push-Medium kam dieser Strategie entgegen.
Von der modernen Tele- zur postmodernen Cybercampaign?
Seit Mitte der 90- er Jahre veränderte sich mit dem rasanten Zuwachs an Internetnutzern die Medienlandschaft. Mit einer Reichweite von 60 Prozent in den USA hat das Internet heute den Status als „Massenmedium“ erreicht, im Unterschied zum Fernsehen jedoch mit der Möglichkeit der Interaktion. Von dieser Entwicklung nahmen natürlich auch die Wahlkampfstrategen Notiz. Im Präsidentschaftswahlkampf 1996 nur am Rande genutzt, hatte das Internet 2000 seine eigentliche Feuertaufe zu bestehen. Der Wahlkampf fand nicht mehr nur übers Fernsehen statt, sondern wurde auch im Internet geführt. Wie gestaltet man aber Wahlkampf in dem neuen Medium und welchen Einfluss hat es auf die politische Kommunikation?
Die Publikationen von Peter Filzmaier und Fritz Plasser sowie Manuela Baldauf setzen sich im deutschsprachigen Raum erstmals wissenschaftlich mit der Campaign 2000 auseinander, stehen sich aber in Anlage und Anliegen diametral entgegen: Manuela Baldaufs Wahlkampf im Web entstand als Diplomarbeit für das Fach Journalistik über die Internetkampagnen der beiden Präsidentschaftskandidaten.
Peter Filzmaier, Politologe an der Universität Innsbruck, und Fritz Plasser, ebenfalls Politologe in Innsbruck und Leiter des Zentrums für angewandte Politikforschung in Wien, hingegen ziehen in Wahlkampf ums Weiße Haus eine generelle Bilanz über die Wahlkampagnen 2000. Das Buch bietet eine umfassende Aufarbeitung der Kongress- und Präsidenstchaftskampagnen. Dabei dokumentieren sie anhand reichhaltigem Datenmaterial den Verlauf der Wahlen von der Phase der Kandidatennominierung bis zur mehrmaligen Auszählung der Stimmen in Florida nach der Wahl und führen gleichzeitig in den institutionellen Kontext (Wahlsystem, Wahlkampfinanzierung, Medienlandschaft) amerikanischer Wahlkämpfe ein. Den weitaus größten Teil ihrer Arbeit widmen sie jedoch der Diskussion der medialen Wahlkampfstrategien. Ein unüblich grosser Abschnitt beschäftigt sich dabei mit dem Internet als neuem Kampagnenmedium. Sie sehen die Kampagne 2000 als Einschnitt in der Geschichte der politischen Kommunikation: „Analog zum Jahr 1952, als George Eisenhower zum ersten Mal einen zielgerichteten Fernsehwahlkampf führte, kann das Jahr 2000 als Beginn der Ära von professionellen Online- Wahlkämpfen bezeichnet werden.“
In einem zunehmend fragmentierten Mediensystem wie dem der USA, indem Wähler, nicht zuletzt aufgrund ihres abnehmenden Interesses immer schwerer für Wahlkampfbotschaften zu erreichen sind, läßt sich, so die These von Filzmaier/Plasser, die Tendenz zum postmodern campaigning feststellen, in dem Kampagnenbotschaften an den Bedürfnissen der Wähler orientiert sind. Als Pull-Medium muss auch das Internet erst das Interesse der User erwecken, um effektiv kommunizieren zu können. Deshalb ist es ein typisches Medium der postmodern campaigns.
Welche Bilant läßt sich aber nun über den Einsatz des Internets in dieser Kampagne ziehen?
Das Internet im US-Wahlkampf 2000
56 Prozent aller Kandidaten für Kongressämter waren 2000 im Netz präsent, wobei zu bemerken ist, dass besonders bei einem zu erwartenden knappen Wahlausgang von Seite der Kampagnenmanager auf das Internet gesetzt wurde, was die hohen Erwartungen der Kampagnenmanager an das Medium unterstreicht.
Neben der Kommunikation von Positionen und Neuigkeiten war das Internet vor allem als Medium zum Spendensammeln und Anwerben von Freiwilligen Helfern erfolgreich . Dabei liess sich feststellen, dass es vor allem unbekannteren Kandidaten gelang, das Medium in dieser Weise effektiv zu nutzen, wie z.B. Senator McCain, der nach seinem Überraschungssieg in den New Hampshire Primaries 25 Prozent seiner Wahlkampfspenden über das Internet sammeln konnte, im Gegensatz zu 0.5 Prozent, die sein Konkurrent Bush virtuell gesammelt hat (wobei dieser in absoluten Zahlen gemessen natürlich einen enormen Vorsprung hatte).
Die Wähler waren nicht minder begeistert von dem neuen Medium: 40 Prozent der Gesambevölkerung haben das Internet zumindest gelegentlich zur politische Information genutzt und 14 Prozent gaben an, dass es eine sehr wichtige Hilfen für ihre Wahlentscheidung war.
Das Internet, so das Fazit des Buches, ist fixer Bestandteil professioneller Wahlkampagnen geworden, wenn sich auch keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis nachweisen lassen. Das Fernsehen als Hauptkampagnenmedium wird durch das Internet aber nicht ersetzt, sondern es verhält sich komplementär zu ihm. Weiter wird festgestellt, dass sich in den Kampagnen die oft geäußerte Hoffnung auf mehr Interaktivität und Beteiligung durch das Internet nicht erfüllt, sondern die starre Informationsvermittlung im Vordergrund steht.
Während Filzmaier und Plasser einen breiten Überblick über die amerikanische Kampagnenlandschaft 2000 bieten, betrachtet Manuela Baldauf einen schmalen, ausgewählten Bereich: die offiziellen Web Sites der beiden Präsidentschaftskandidaten Gore und Bush. Mit Akkribie beschreibt sie, wie auf den Homepages um Spendengelder oder freiwillige Kampagnenhelfer geworben wurde, wie sich die Kandidaten multimedial auf ihren personalisierten Seiten präsentierten und wie die Wahlkampfthemen im Netz transportiert werden. Über eine genaue Beschreibung der Webseiten und einer Kategorisierung ihrer Bestandteile kommt die Arbeit aber nicht hinaus. Weder wird diskutiert, mit welchem strategischen Hintergrund die beschriebenen Elemente verwendet werden, noch werden die medienspezifischen Möglichkeiten diskutiert. So wäre es z.B. spannend gewesen, zu erfahren, welche Dynamiken Elemente wie E- Cards haben können, die durch die Netzwerkstruktur des Internet nach dem Virusprinzip verteilt zirkulieren (Viral campaigning) und als Selbstläufer eine Message nach dem Schneeballsystem schneller und ziegruppenspezifischer transportieren können als Massenmedien.
Der zweite Teil der Arbeit ist dem Negativ Campaigning im Internet gewidmet. Baldauf untersucht dabei die Frage, wie Negativität, also Attacken auf den Gegner, auf den beiden Hauptseiten der Kandidaten vorkommt. In ihrer sehr ausführlichen Auswertung der über die beiden Webseiten verbreiteten Nachrichtenmeldungen kommt sie zum Ergebnis, dass der Trend zu vermehrter Negativität in amerikanischen Kampagnen, den auch Filzmaier und Plasser in dieser Kampagne feststellen, sich im Netz fortsetzt. Immerhin 44 Prozent aller verbreiteten Meldungen sind dem Negativ Campaigning zuzurechnen. Darunter dominiert allerdings mit 90 Prozent die Form des „Direkten Angriffs“, bei dem Positionen des Gegners oder dieser selbst ohne ein konstruktives Element attackiert werden. „Vergleichende Angriffe“, bei der die eigene Überlegenheit im Vergleich mit dem Gegner herausgestellt werden soll, finden nur in 10 Prozent aller Fälle statt.
Dieser Befund stützt die Schlussfolgerung von Filzmaier und Plasser, dass in Wahlkampagnen die Chancen des Internets nicht genutzt werden, denn gerade die Möglichkeit der Verlinkung zum Gegener könnte den direkten Vergleich der Positionen fördern und dem Wähler wirkliche Entscheidungehilfen geben.
Schade ist, dass Baldauf nur die Kandidatenseiten selbst auf Tendenzen zum Negativ Campaigning untersucht. Das Netz bietet gerade in diesem Bereich neue Möglichkeiten, wie beispielsweise animierte Online-Spiele, in denen man den politischen Gegner virtuell attackieren kann. In der Regel werden die Partei- und Kandidatenseiten aber von solchen Features freigehalten und auf Satellitenseiten, die über eigene Domainnamen von der Hauptkampagnenseite getrennt sind und mit einer eigenen Message ein anderes Zielpublikum erreichen wollen, ausgelagert, um das saubere und faire Image des Kandidaten nicht zu beschädigen. Im deutschen Wahlkampf beispielsweise dienten die Seiten nichtregierungsfähig.de (politik-digital berichtetete) und wahlfakten.de (politik-digital berichtete) diesem Zweck. Daher müsste eine vollständige Untersuchung des Phänomens Negativität im Netz sich auch und auf diese Seiten konzentrieren.
Nichtsdestotrotz ist Wahlkampf im Web eine gelungene Beschreibung der Webseiten beider Präsidentschaftskandidaten, die den technischen Stand von Onlinekampagnen zu diesem Zeitpunkt detailliert wiedergibt. Viele der beschriebenen Features haben Modellcharakter und liessen sich gerade auch im deutschen Wahlkampf wiederfinden.
Kritisch anzumerken ist, dass Baldauf keine kampagnenstrategische Deutung ihrer Ergebnnisse vorlegt und die Analyse der Web Sites anhand von Kriterien aus fernsehzentrierten Campagnen durchführt und dadurch die Möglichkeiten des Internet wie Interaktivtät und die Chance zur viralen Kampagnenführung zu wenig berücksichtigt.
Filzmaier und Plassers Wahlkampf ums weiße Haus überzeugt durch empirischen Detailreichtum, was beim Lesen jedoch hin und wieder erdrückend wirkt. Auf der anderen Seite ist das Buch dadurch aber eine schier unerschöpfliche Quelle an weiterführender Literatur zum politischen System der USA, Wahlen, Kampagnenmanagement, Medien- und Wirkungsforschung. Nicht zuletzt präsentiert das Buch eine sehr umfassende Sammlung an aktuellen empirische Studien zur US- Wahl 2000, was, vor allem in Bereich Internetcampaigning mangels heimischer Daten eine wertvolle Basis für die Forschung in diese Richtung ist.