Die Bibliothek der Zukunft -Text und Schrift in den Zeiten des Internet
Wenn das verschwindend kleine Handy leise in der Hosentasche zu brummen beginnt oderdas Notebookdisplay plötzlich eingegangene eMails verspricht, dann ist man mitten drin im”Kommunikations- und Informationszeitalter”, surft noch ein wenig in den unendlichenWeiten des WWW – und vergisst langsam das haptische Erleben eines Buches oder einer Zeitung…
Denn “die Digitalität hat bereits begonnen […], eine radikale Veränderung an den Fundamenten unserer Kultur findet in atemberaubender Schnelligkeit statt”, konstatiert Dieter E. Zimmer, langjähriger Zeit-Redakteur und freier Schriftsteller in seinem neuen Buch “Die Bibliothek der Zukunft”.
Dass es sich hierbei nicht um das zukünftige Kultbuch der jungen Liga der BibliothekarInnenhandelt, wird schnell klar. Alle müssen lernen sich in der Welt des Geschriebenen neu zuorientieren. Wer den Computer als Schreib- und Lesegerät benutzt, hat mehr davon, wenn erversteht, was er kann und was nicht und warum – und gehört automatisch zur Zielgruppe desBuches.

Buch-Infos
Dieter E. Zimmer:
Die Bibliothek der Zukunft – Text und Schrift in den Zeiten des Internets
Verlag Hoffmann und Campe, 2000,
336 Seiten, 39,90 Mark
Das Buch bei BOL

Jenseits von “spinnerten Computerfreaks” und denen “die keine Ahnung haben” beziehtDieter E. Zimmer Stellung. Information anstelle von Prophetie wird dabei deutlich, zumBeispiel bei der Auseinandersetzung mit dem Neobegriff “Kommunikations- undInformationszeitalter”, der eine Welt von informierten Menschen suggeriert. Zimmer zeigt,dass die Gleichung “mehr Angebot von Wissen gleich mehr Informiertheit” falsch ist. DieFlutwelle von Wissen führt in immer mehr Fällen zu Kommunikationsabwehr.
Ebenso werden Informationen immer mehr nur noch von kleinen Interessengruppen verwertet,der gemeinsame Vorrat an Wissen schrumpft und das zukünftige globale Dorf wird aus lauterkleinen und kleinsten Dörfern bestehen. Zudem kann man kaum von Globalität sprechen, wennlediglich 2,4 % der Weltbevölkerung das Internet nutzten und die Information die Weltnoch mal in Habende und Habenichtse unterteilt.
Für die Habenden besteht weiterhin die größte Hürde in der unsortierten Fülle. Wie findet man einen bestimmten elektronischen Text? Der Autor (“Wenn man es weiß, ist es ganz einfach”) verweist auf seinen kommentierten Linkkatalog, der thematisch unterteilt, wesentliche Adressen der Textrecherche nennt und durch Empfehlungen und eine aktualisierte Onlineversionabgerundet wird.
Die Menge der enthaltenen Links schreckt zunächst ab und konfrontiert den Leser erneutmit einer Ladung geballten Wissens. Er braucht nun für die Informiertheit einen Computermit Internetzugang, einen Vorrat an Zeit und Selektionsvermögen.
Probleme der Internationalisierung von Information zeigt Zimmer am Beispiel derMicrosoft-Software \’Word\’. Für die Lokalisierung, das heißt für die Übersetzung undAbstimmung dieses Produkts,setzt Microsoft weltweit 400 Mitarbeiter ein. Diese sorgen dafür, dass die kulturellenUnterschiede zwischen den Nutzerkreisen berücksichtigt werden. Als Folge kommen Hilfstextedes Programms für Amerikaner salopper daher, und wird der deutsche Kunde neutral informiert.In der russischen Office-Version darf keine rote Fahne zu sehen sein, und in der islamischen Versionkein Kreuz.

Aus dem Inhaltsverzeichnis
Die Bibliothek der Zukunft
Vom Ruß auf Holz zum Pixel im Kristall
Alles, immer, überall – Die Große Virtuelle Weltbibliothek
Information als Landplage
Literatur aus der Steckdose
Hypertext: Absage ans Lineare
eNzyklopädien
Zeitschriften unterwegs von P nach E
Der Opac und seine Tücken
L10N wie Lokalisierung
Am Anfang war ASCII
Unicode, der Code für alle
@, der Klammeraffe
Urheberre©ht im Internet
Informationstod im Informationszeitalter

International sehr unterschiedlich sind auch die Bezeichnungen für den Klammer@ffen:Er wird in Norwegen Zimtschnecke (Kanelbolle) und in der Slowakei Rollmops (Zavinac)genannt. Wer nun erfahren möchte woher das obskure Zeichen stammt, der lese dasentsprechende Kapitel…
Anschaulich liefert der Journalist und Allrounder (die meisten seiner 17 Bücher sindaus dem Grenzgebiet von Psychologie, Biologie und Linguistik) einen auf Fakten undDaten basierenden Überblick über das zukunftsbestimmende Thema Text und Schrift im WWW.Ein spezieller Teil ergänzt und vertieft einige Aspekte und bietet Antworten auf generelleFragen (“Woher kommt die CD?”, “Wie ist eine Adresse im Netz aufgebaut?”).
Abwechslungsreich und sprachlich gelungen fügen sich die Kapitel aneinander, theoretischeAspekte werden durch einprägsame Sprachbilder aufgelockert und erleichtern den Lesefluss.
Ob der Lesefluss auf einem klappbaren LCD-Display in Buchgröße und Hochformat anstelle desBuches aus Papier wirklich angenehm und zukunftsfähig ist, mag noch ungewiss sein -jedenfalls, so Zimmer, “geht dieÄra des Buchdrucks zu Ende, die der Digitalität hat bereits begonnen, und da beißt dieMaus keinen Faden mehr ab”.